piwik no script img

Die Kreuzberger Kitsch-Aktionäre

Conny Stevens hat eine Geschäftsidee und einen Laden – aber kein Geld. Also verkauft sie „Aktien“ und macht die Freunde und Nachbarn zu Shareholdern. Manche helfen sogar beim Renovieren. Eine Konzept ganz ohne Pleitenrisiko, aber mit Party

Der Standort Deutschland ist bedroht, die Hauptstadt verschuldet, die Berliner sind arm. Wo bleibt da der Nährboden für kreative Köpfe? Doch nicht jeder bläst Trübsal. Conny Stevens hat sowohl Unternehmungslust als auch Ideen. Und sie möchte in Kreuzberg ein Geschäft mit Trendartikeln eröffnen. Dafür hat sie zwar kein Geld, aber eine Lösung: Sie macht ihre Freunde und Bekannten zu Teilhabern. Den Mietvertrag für einen Laden in der Wiener Straße hat sie auch schon. „Luxusramsch“ soll dort zu kaufen sein, wie zum Beispiel Wecker, die bellen, klimpernde Plastikvorhänge oder pseudoindisch designte Gläser. Gibt es nicht schon viel zu viele solcher Läden? „Nein, hier im Kiez nicht“, sagt Conny. Sie weiß über Luxusramsch-Läden Bescheid, denn ihr Mitbewohner hat einen in Prenzlauer Berg. Außerdem kennt sie schließlich ihr Viertel. „Die Leute freuen sich drauf“, ist sie überzeugt. Auch bei ihrer Finanzierungsidee kommt ihr der Kiez zu Hilfe. Wer ihre „Aktien“ kauft, ist stiller Teilhaber an ihrem Geschäft. 100 Euro kostet eine, und sie bringt am Ende des Geschäftsjahres einen Anteil an der Hälfte des Umsatzes. Außerdem gibt es jährlich eine große Party für alle Anleger. 40 bis 50 Aktien hat Conny schon verkauft, an Freunde und Bekannte, aber auch an Nachbarn aus dem Kiez. Die Sache spricht sich schnell rum. Und sie ist selbst überrascht, wie solidarisch die Menschen sind. „Die kaufen nicht nur Aktien, sie helfen mir auch beim Renovieren“, schwärmt sie, „ich glaube, das ist auch eine Besonderheit dieses Bezirks.“ Zudem bekommt sie noch viel Komissionsware von Hobby-Lampenbastlern und Pulswärmerstrickern. So gestalten die Anleger den Laden ein bisschen mit.

Den Finanzplan für das Vorhaben hat Connys Freund Dirk gemacht. 150 Aktien wollen die beiden verkaufen, dann haben sie 15.000 Euro Startkapital. Das reicht für die Waren, die Party und den Ausbau des Ladens. Mit 150 Euro Umsatz am Tag, bekommt jeder Anleger 10,15 Euro brutto. Und 150 Euro täglich ist nach Connys Meinung nicht viel. Sie rechnet optimistisch mit mehr.

Regale und Vitrinen will das Aktionärspaar aus alten Fenstern bauen. Die Idee hatten sie gerade entwickelt, als ihnen bei einem Spaziergang ein Lieferwagen mit einer ganzen Ladung alter Fensterhölzer begegnete. Auf seinem Weg zur Mülldeponie. Aber dann kutschierte der Handwerker seine Holzladung zum neuen Ladenprojekt.

Ein echtes Vorzeige-Startup-Unternehmen. Gibt es einen Haken? „Nirgends“, strahlt die junge Frau. Auch der Geschäftspartner ist sicher: „Es gibt kein Risiko!“ Und wenn’s ein Flop wird? Dann wollen sie die Ware verkaufen und jemand anders mietet den Laden. „Wir können Abstand nehmen, weil wir renoviert haben.“ Und das übrig bleibende Geld würde wieder unter den Anlegern aufgeteilt. Dann, so Conny, müssten sie sich eben wieder was Neues ausdenken. Kein Problem. Denn Dirk „hat auf jeden Fall zweimal am Tag eine gute Idee. Da findet sich immer was.“ Ende Oktober soll das Geschäft eröffnet werden. Zwei Monate nach der ersten Idee.

DINAH STRATENWERTH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen