Verflucht noch mal!

Die New York Yankees und Florida Marlins setzen sich gegen gebannte Gegner durch und bestreiten ab heute die World Series im Baseball

von MATTI LIESKE

Baseball ist die Sportart mit den bei weitem infantilsten Ritualen und Legenden. Man denke nur an den abstrusen „Rallye Monkey“ der Anaheim Angels oder an die merkwürdigen Flüche, die angeblich auf einigen Teams liegen. „Fluch der Ziege“! „Fluch des Bambino“! Albern, oder?

Nun, in Chicago und Boston kann im Augenblick über diese Dinge niemand lachen. Nachdem am Donnerstag bereits die Chicago Cubs den Einzug in die World Series verzickt hatten, erwischte es am Freitag auch die Boston Red Sox. Allerdings waren sich deren Fans einig, dass das Scheitern im siebten Match der Serie gegen die New York Yankees weniger dem „Bambino“ (Babe Ruth, den die Sox 1919 zu den Yankees schickten, woraufhin sie nie wieder einen Titel gewannen) anzulasten war, sondern vielmehr Manager Grady Little. Mit einer komfortablen 5:2-Führung war Boston im Yankee-Stadium in der Bronx ins achte Inning gegangen, alles deutete darauf hin, dass Bambino diesmal machtlos war und die Red Sox ihren Albtraum vieler Jahre endlich einmal bezwingen könnten. Doch dann wurde der Arm des bis dahin großartigen Pitchers Pedro Martinez sichtlich müde. Manager Little ließ Martinez dennoch auf dem Feld, nicht zuletzt zum Erstaunen der Yankees, welche die unverhoffte Gunst rigoros ausnutzten. Kurze Zeit später stand es 5:5, und zu Beginn des 11. Innings beendete New Yorks Aaron Boone, gerade ins Spiel gekommen, Partie und Serie mit einem Homerun. Ein Match, so recht nach dem Geschmack der Yankees-Fans, die nichts mehr lieben als ein fast verlorenes Spiel, das von ihrem Team noch gedreht wird. „Heute“, freute sich der famose Closer Mariano Rivera, „haben wir gespielt wie Champions.“

Um solche auch zu werden, müssen die New Yorker die Florida Marlins bezwingen, die ein noch größeres Kunststück schafften. 1:3 lagen sie gegen die Cubs schon zurück, und die letzten Partien der Serie fanden in deren Wrigley Field statt. Jenem Stadion, in das 1945 ein Barbesitzer seine Ziege nicht mitnehmen durfte, worauf er die Worte sprach: „Ihr werdet hier nie wieder eine World Series bestreiten.“ Also doch nur leeres Gerede, dachten die Cubs-Anhänger erleichtert, als in Spiel sechs nur noch fünf Outs zum Finaleinzug fehlten. Doch dann ging plötzlich alles schief. Der Satz „Do the Bartman“ lässt in Chicago jedenfalls niemanden mehr an den gleichnamigen Song von Bart Simpson denken, seit im achten Inning dieses Spiels der eingefleischte Cubs-Fan Steve Bartman (26) ins Geschehen eingriff. Einen in die Zuschauerränge segelnden Foulball, der aber für Outfielder Moises Alou noch erreichbar war, wurde ihm vom übereifrigen Bartman praktisch aus dem Handschuh gestupst. Statt ein weiteres demoralisierendes Out zu kassieren, begannen die Marlins plötzlich wie die Teufel zu punkten, gewannen das Match und einen Tag später auch Spiel 7. Steve Bartman steht seitdem unter Polizeischutz, trotz einer ausführlichen, zerknirschten Entschuldigung wird er mit Hassbriefen überschüttet. Floridas Gouverneur Jeb Bush bezeichnete es als gute Idee, ihm Asyl zu gewähren, eine Ferienanlage bot schon einen dreimonatigen Gratisaufenthalt an. Weiteres Wasser auf den Mühlen des Volkszorns in Chicago.

Statt der Cubs spielen nun die Marlins ab heute in der World Series gegen die Yankees, wie gewohnt als Underdog. „Wir werden ein dicker Brocken sein“, kündigte jedoch ihr 72-jähriger Manager Jack McKeon an. Warum auch nicht? Von irgendeinem Fluch, der auf den Marlins lastet, ist nichts bekannt.