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Nie mehr Arbeitssklave sein

Ein Einkommen von 700 Euro, und das ganz ohne Arbeit – dies ist eine Forderung der Anti-Hartz-Demonstranten. Ganz unrealistisch ist sie nicht

VON HANNES KOCH

Da ist Musik drin. Während sich die Proteste gegen die Hartz-Gesetze der rot-grünen Bundesregierung oft genug in der Ablehnung des „Sozialabbaus“ erschöpfen, ist das bei der Forderung nach einer „Grundsicherung“ anders. Die Betroffenen verlangen schlicht, dass sie ausreichend finanziert werden, ohne arbeiten zu müssen. Und auch ohne ständig beim Arbeitsamt vorgeladen zu werden. Das ist mal eine handfeste Ansage!

Das Grundeinkommen ist das Glücksversprechen der Anti-Hartz-Demonstranten. Die PDS hängt ihr an, auch Attac und jede Menge andere Gruppen. Da leuchtet eine neue Gesellschaft auf hinter dem Kapitalismus, eine Gesellschaft ohne Armut, ohne den Zwang zur Arbeit, mit ganz viel Freiheit.

Jedoch: Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Allein das Wort Grundsicherung ist ein „Containerbegriff“. Jeder kann hineinwerfen, was er will. Daher verwundert es nicht, dass die unterschiedlichsten Leute – vom linken Theoretiker André Gorz bis zum neoliberalen Ökonomen Milton Friedman – verwandte Konzepte attraktiv finden.

Wie aber sieht die Version des Grundeinkommens aus, die bei den Anti-Hartz-Demonstrationen en vogue ist? Das Netzwerk „Grundeinkommen.de“ formuliert die wesentlichen Kriterien so: Sicherung der „gesellschaftlichen Teilhabe“, individueller Rechtsanspruch, keine Bedürftigkeitsprüfung, kein Zwang zur Arbeit. Die Befürworter fordern eine wesentliche Ausweitung der heutigen Sozialhilfe.

Während ein durchschnittlicher Bezieher von Sozialhilfe gegenwärtig 651 Euro im Monat bekommt, soll das Grundeinkommen großzügiger ausfallen. Professor Michael Opielka (Fachhochschule Jena und Netzwerk Grundeinkommen) hält zwar auch ein Minimum von 640 Euro pro Erwachsenem für begründbar, nennt aber ebenso Größenordnungen von 700 Euro oder mehr. Die unterschiedlichen Zahlen hängen in allen Modellen davon ab, wie man den Betrag, der die Existenz sichert, statistisch berechnet. Bei manchen Gruppen reichen die Vorstellungen bis zu 1.500 Euro/Monat.

Im Prinzip soll jeder Staatsbürger ein Recht auf diese Leistung haben – unabhängig davon, ob er Jobs ablehnt, die die Arbeitsagentur ihm anbietet, unabhängig davon, ob er in der sozialen Hängematte liegt. Das klingt ziemlich unrealistisch. Heute ist das Einkommen an Arbeit geknüpft. Warum soll man das ändern?

Der erste Grund liegt in der vermutlich richtigen Analyse, dass die Wachstumsgesellschaft westeuropäischer Prägung auf Jahrzehnte hin keine ausreichende Zahl von Stellen zur Verfügung stellen kann. Die zweite Rechtfertigung argumentiert mit dem sozialen Menschenrecht, dass in einer reichen Gesellschaft niemandem die Teilhabe an einem ausreichenden Lebensstandard verwehrt werden dürfe. Und die dritte Begründung lautet kapitalismusimmanent: Zwang zur Arbeit bringt nichts, freie Menschen sind produktiver als Sklaven – ausreichend abgesichert und unabhängig, werden viele sich selbst einen Job schaffen.

Und wo ist der Schwachpunkt der Argumente der Befürworter des Grundeinkommens? Er liegt bei ihrer materiellen Großzügigkeit, die verbunden wird mit einem Angriff auf die etablierte Arbeitsmoral: Millionen Menschen würden schlicht aufhören zu arbeiten, lautet die landläufige Befürchtung, und das treibe die Kosten für den Staat in unermessliche Höhen.

Eine nicht ganz abwegige Vermutung: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat die zusätzlichen Kosten eines Grundeinkommens in einem Gutachten aus dem Jahr 1996 mit minimal 68,5 Milliarden Euro angegeben. Die hohen Kosten kamen nicht zuletzt dadurch zustande, dass die damals eruierte Form des „Bürgergeldes“ vorsah, Niedriglöhne bis zu einer bestimmten Höhe zu bezuschussen. Freilich könnte man auch ein anderes Modell wählen – unabhängig davon bleibt unter dem Strich aber das grundsätzliche finanzielle Problem.

Allerdings gibt es inzwischen eine Idee, dieses zu umschiffen. Die „Grundeinkommensversicherung“, die Spezialist Opielka nach und nach entwickelt, ist ein neues Modell auf der Grenze zwischen Sozialversicherung und steuerfinanzierter Absicherung. Seine Berechnungen haben relativ Erstaunliches ergeben: Wenn alle Einkommensbezieher in Deutschland auf sämtliche Einkünfte eine neue „Sozialsteuer“ von 17,5 Prozent entrichteten, könnte das alle heute gezahlten Leistungen der Rente, des Arbeitslosen-, Erziehungs-, Kinder- und Krankengeldes, des Bafögs und der Sozialhilfe ersetzen. Der Trick: Das Aufkommen wird erhöht, indem auch Beamte, Selbstständige und Unternehmen einbezogen werden. Die steuerliche Belastung müsste dadurch insgesamt noch nicht einmal steigen, sagt Opielka.

Obwohl er Sympathie für das bedingungslose Grundeinkommen hegt, ist er so realistisch, einen Kompromiss anzubieten. Demnach kann man zum Beispiel nicht ungestraft auf der faulen Haut liegen: Lehnt man Angebote der Arbeitsagentur ab, wird die Hälfte des Grundeinkommens nur als Darlehen gezahlt. Aus solchem Stoff sind die Debatten der Zukunft. Für den Augenblick ist Opielka optimistisch: Bisher habe ihm niemand den ganz großen Haken in seinem Konzept nachweisen können.

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