Im Irak ist nichts mehr sicher

70 Angriffe am Tag, in allen Städten Iraks: Die Sicherheitslage verschlechtert sich dramatisch. George W. Bush und Ajad Alawi geben sich optimistisch – doch dafür gibt es immer weniger Grund. Internationale Journalisten verlassen den Irak

KAIRO taz ■ Vier Monate vor den im Irak eigentlich geplanten Wahlen klaffen die Ansichten über die Sicherheitslage auseinander. US-Präsident George W. Bush und der irakische Premierminister Ajad Alawi zeichnen ein relativ rosiges Bild. „Wir könnten morgen Wahlen abhalten“, erklärte Alawi vor wenigen Tagen bei einem ersten Besuch in den USA. US-Außenminister Colin Powell gibt dagegen inzwischen offen zu, dass „es schlimmer wird“.

Die Lage vor Ort gibt Powell Recht. Allein in den letzten zwei Wochen wurden nach Angaben des irakischen Gesundheitsministeriums 250 Iraker und 29 US-Soldaten getötet. Eine Studie im Auftrag der staatlichen US-Entwicklungshilfeorganisation zeichnet ein düsteres Bild. Mehr als 70 Anschläge verzeichnet „Kroll Security International“ derzeit täglich, und das in nahezu jeder Stadt des Landes. Besonders betroffen: Bagdad und drei der größten Bevölkerungszentren des Landes, Anbar im Westen, Salahedin im Norden und Babylon im Süden.

Zumindest in der Provinz Anbar sind die Attacken gegen US-Militärs zurückgegangen, aber ein Offizier der dort stationierten US-Marines, der nicht namentlich genannt werden möchte, bietet der Washington Post eine einfache Erklärung für diesen Rückgang: „Es gibt weniger Angriffe, weil wir weniger auf der Straße patrouillieren. Daraus kann man aber kaum schließen, dass es sicherer geworden ist.“ Die Marines hatten die Patrouillen aufgrund der zahlreichen Anschläge mit ferngesteuerten Minen eingeschränkt.

Ob sich die USA beim Versuch, die Kontrolle wiederzuerlangen, auf irakische Truppen verlassen können, ist fraglich. Am Sonntag wurde der Chef der neuen irakischen Nationalgarde, General Talib al-Lahibi, nach gerade einer Woche im Amt unter dem Verdacht festgenommen, mit den Aufständischen zusammenzuarbeiten.

Unterdessen veröffentlichte das irakische Gesundheitsministerium die neuesten Opferzahlen. Danach gehen zwei Drittel der Toten auf Kosten der USA, ein Drittel auf das der Aufständischen. Laut der Statistik, die 15 der 18 Provinzen umfasst, sind vom April bis 19. September 3.487 Iraker umgekommen, darunter 328 Frauen und Kinder unter 12 Jahren. 13.720 Iraker wurden im gleichen Zeitraum verletzt. US-Militärbeamte sprechen anonym inzwischen vom „Schaden, der angerichtet würde, würde sich das Militär für eine Offensive entscheiden, um in allen Gebieten des Landes wieder die Kontrolle zu erlangen“.

Auch die Medien selbst schenken den offiziellen Versicherungen der irakischen Regierung nur noch wenig Vertrauen. Das ZDF hat keinen Korrespondenten mehr vor Ort, die ARD wird ihr Büro in den nächsten Tagen schließen. Das staatliche französische Fernsehen TF1 und France 3 verkündete ebenfalls die Rückkehr ihrer Teams. „Bis vor wenigen Monaten haben sich unsere Journalisten noch sicher gefühlt, aber jetzt ist auch ein französischer Pass kein Schutz mehr“, erklärte Catherine Nayl, zweite Nachrichtenchefin von TF1. Der Nachrichtendirektor von France 3 stimmt zu: „Jetzt“, sagt Ulysee Gosett, „sind alle Journalisten potenzielles Ziel für Verschleppungen.“ KARIM AL-GAWHARY