Streit um erhöhte Pestizid-Grenzwerte

Greenpeace: Obergrenzen für Pestizide werden immer weiter angehoben – teilweise um mehr als das Tausendfache. Verbraucherministerium: Senkung der Werte durch neues EU-Verfahren. Strategie zur Pestizidreduktion im Oktober

BERLIN taz ■ Ein schlechtes Zeugnis für ihre Pestizidpolitik hat gestern die grüne Verbraucherschutzministerin Renate Künast von der Umweltschutzorganisation Greenpeace bekommen. „Die gesetzlich erlaubten Höchstmengen für Pestizidrückstände in Obst, Gemüse und Getreide wurden in den letzten fünf Jahren in Deutschland von den zuständigen Ministerien massiv angehoben“, bilanzierte gestern Chemieexperte Manfred Krautter. Der Vorwurf: Gerade unter Künast seien die Grenzwerte verwässert worden. Die Umweltschützer haben durch ihr Greenpeace EinkaufsNetz die Studie „Pestizide am Limit“ erstellen lassen.

Nach den offiziellen Daten, die Greenpeace ausgewertet hat, wurden noch 2000 bei 177 Stoffen die erlaubten Grenzwerte angehoben, 2003 waren es bereits 319. In 59 Prozent der Fälle seien die Werte angehoben worden, nur in 41 Prozent wurden sie verschärft. Dabei geht es nicht um Bagatellgifte: Von den zehn Pestiziden, deren Grenzwerte am stärksten heraufgesetzt wurden, gehören acht Gifte, die wegen ihrer hormonellen Wirkung oder ihrer Krebsgefahr als besonders gefährlich gelten. Als Extrembeispiel nennt Greenpeace das Fungizid Chlorthalonil für den Hopfen, dessen Werte „um das 5.000-fache“ heraufgesetzt wurden. Bei Bananen werde jedem Verbraucher pro Jahr die zusätzliche Aufnahme von 0,3 Gramm Pestizid zugemutet. Einziger Lichtblick: Bio-Produkte sind „in der Regel frei von Pestiziden“. Obst und Gemüse sollten nach Saison gekauft werden, deutsche Produkte seien weniger belastet als importierte Waren.

Nach Angaben des Verbraucherministeriums beruhen diese Zahlen auf einer neuen Art der Zulassung. EU-weit gebe es inzwischen eine „Inidikationszulassung“: Für jedes Pestizid werde für jedes Obst ein eigener Grenzwert festgelegt. Dabei komme es zu Anhebungen der alten Grenzwerte – aber „in der Summe wurden die Grenzwerte deutlich mehr herunter- als heraufgesetzt“, so das Ministerium.

Krautters Vorwürfe gehen noch weiter: Trotz der erhöhten Grenzwerte würden immer häufiger selbst diese Limits nicht eingehalten. „Inzwischen werden bei fast neun Prozent aller Lebensmittel die Grenzwerte für Pestizide überschritten“, so Krautter. Gegen kein Gesetz werde in Deutschland so häufig verstoßen wie gegen das Lebensmittelgesetz. Außerdem sei nach wie vor völlig ungeklärt, wie der „Giftcocktail“ auf verschiedenen Obst- und Gemüsesorten auf den Menschen wirke. Schließlich werde viel zu wenig kontrolliert – das wiederum ist ein Problem der Länder, denen die Lebensmittelkontrolle obliegt.

Greenpeace fordert von Künast nun, alle Pestizidhöchstmengen auf die Grenze für Babynahrung zu senken. Es müsse ein „Summengrenzwert“ geben, der die Wirkung der Pestizidcocktails berücksichtige. Das angekündigte und bereits einmal gescheiterte „Verbraucherinformationsgesetz“ solle den Konsumenten offen legen, welche Händler gesetzeswidrig handelten und schadstoffbelastete Produkte anböten. Schließlich brauche es dringend die Umsetzung des „Pestizidreduktionsprogramms“, das die Bundesregierung plane. Bisher werden jedes Jahr 30.000 Tonnen Ackergifte versprüht. Zumindest dafür soll es bald Abhilfe geben, hieß es gestern aus dem Ministerium. Die Reduktionspolitik, die seit einem Jahr im Verbraucherministerium erarbeitet wird, soll im Oktober vorgestellt werden.

BERNHARD PÖTTER

greenpeace.de/einkaufsnetz