„Ihr werdet erschaudern vor gieriger Wollust!“

Pummelige Präsenz: Mit gar wunderbar musiziertem Sarkasmus sprengt Solo-Pop-Künstler Bernd Begemann Bühne und Hirne im Jungen Theater

Ewig verkannt, von vielen ignoriert und missachtet. Und das auch nach fast zwei Jahrzehnten als moderner Barde noch – Bernd Begemann, der sich gerne als Solo-Pop-Künstler bezeichnet, hat es schwer. Da tut ein bisschen Selbstsuggestion zu Beginn eines Auftritts doch ganz gut: „Ihr werdet auf den Knien rutschen und erschaudern vor gieriger Wollust!“ Eine leicht frivole weibliche Stimme verkündet die Ankunft des Sängers und Entertainers aus Hamburg. „Ihr werdet um einen einzigen Blick eures Idols betteln!“ So hört sich der Beginn eines abwechslungsreichen dreieinhalbstündigen Konzert-Marathons an. Begemann – von Fachblättern zum Gründer der „Hamburger Schule“ hochstilisiert – trat mit seiner Dreier-Combo „Die Befreiung“ in der alten Spielstätte des Jungen Theaters auf.

Seit 1987 tingelt das Multitalent unbeirrt durch die Provinz, hat sich von Jugendzentrum-Niveau hochgearbeitet in die etwas honorigeren Hallen – wie den Bremer Güterbahnhof eben. Früher waren es ein paar Oberstufler – jetzt sind es Studenten, die seinen Texten lauschen. Es geht bergauf und er hat dabei seine Originialität vor dem Ausverkauf bewahrt. Dass er nicht mehr der Jüngste ist, lässt sich leicht erkennen, seine Präsenz bleibt dennoch mitreißend: Begemann ist einer, der von und auf der Bühne lebt. Etwas pummelig steht er da, guckt blinzelnd in die Strahler, schleckt am verschwitzten Hemdsärmel und provoziert Diskussionen mit dem Publikum – aus denen er meist als Sieger hervorgeht. Er trägt die Auseinandersetzungen mit selbstironisch-sympathischer Fassung. Jeden Ton seiner Soli geht Begemann mit, verzerrt sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit. Und entlockt seiner Bluesgitarre gar wunderbare Riffs, begleitet von sarkastisch-zynischen Texten.

Begemann hat inzwischen 25 Platten veröffentlicht, sich als Schauspieler und Moderator versucht. Seine Talkshow „Bernd im Bademantel“ für den NDR im Jahr 1996 war allerdings zu viel für den öffentlich-rechtlichen Sender: Zu schäbig, so das Urteil. Sehr sympathisch – ein Punkt für Bernd.

Bis Ende Februar kommenden Jahres wird er fast jeden Abend an einem anderen Ort und vor anderem – vielleicht noch bissigerem – Publikum spielen. Dreieinhalb Stunden sind’s im Alten Güterbahnhof – explosiv für Hirn und Ohr, auch wenn Begemann bis ganz zum Schluss noch immer niemanden auf die Knie gezwungen hat. Aber das wird schon noch. Beim nächsten Gig. Ganz bestimmt. Dirk Strobel