Astronomischer Papierstau

Weil die Unis weniger Geld bekommen, haben sie fürs neue Semester weniger Studenten zugelassen. Der nahezu flächendeckende NC hat vor allem mehr Arbeit gebracht. Vor allem an der TU

von JOHANNES GERNERT

Zum Erstsemestertag hat die Technische Universität einen Raumfahrer eingeladen: Sigmund Jähn, den ersten Deutschen im All. Das passt, denn die Bewerberzahlen waren fürs Wintersemester wieder mal astronomisch hoch. Weniger treffend liest sich der Titel der aktuellen Ausgabe der TU-Hochschulzeitung. Ein „Studium ohne Grenzen“ wird dort versprochen. Dabei stoßen Abiturienten sehr schnell auf eine Grenze, wenn sie in Berlin studieren wollen. Relativ kurzfristig wurde im Sommer für fast alle Studiengänge ein Numerus clausus eingeführt. Mit den Folgen hatten die Hochschulverwaltungen nun zu kämpfen.

An der TU musste das Immatrikulationsamt wegen Überlastung geschlossen werden. Viele warteten vergeblich auf ihre Immatrikulationsbescheinigungen, die in Berlin auch als Semesterticket gelten. TU-Vizepräsident Jörg Steinbach versprach zwar, bis zum heutigen Vorlesungsbeginn alle Studierenden mit Tickets und Bescheinigungen zu versorgen. Doch „marginale Ausnahmen“ schloss er nicht aus. Und obwohl statt 9 Mitarbeitern schließlich 18 im Immatrikulationsbüro arbeiteten, wartete am Ende der vergangenen Woche immer noch eine Schlange vor dem als Ersatz eingerichteten „Studierendenexpressschalter“ im Foyer des Hauptgebäudes auf Auskunft.

„Wenn es dauert – egal. Wenn es chaotisch ist – egal. Nur wenn ich zahlen muss – nicht egal“, sagt G.F.. Sie ist einfach ohne Semesterticket gefahren, wurde prompt von der BVG kontrolliert und muss nun in spätestens sieben Tagen ihren Studentenausweis vorlegen – oder vierzig Euro zahlen. Auch für ihre Arbeitsgenehmigung braucht die Italienerin eine Immatrikulationsbescheinigung.

Jamal Alquundus fängt nicht an zu studieren. Er hört auf. Wenn ihm die TU das aber nicht bestätigt, kann er sich an der Technischen Fachhochschule nicht einschreiben. Eigentlich müsste er dort schon Vorlesungen besuchen. Fürs Erste ist die Exmatrikulation aber wichtiger. Dreimal stand Alquundus schon vor dem Expressschalter. Er hat noch fünf Tage. Dann kann er das Studium an der FH vergessen. „Wenn ich die Bescheinigung erst danach kriege, habe ich gar nichts“, befürchtet er.

„Das ganze Ausmaß der Katastrophe ist noch nicht abzusehen“, unkt Marius Pöthe. Der Vorsitzende des Asta an der TU macht das Unipräsidium für das „immer wiederkehrende Chaos“ verantwortlich. Schon während der Einführung des flächendeckenden NC seien die desaströsen Zustände bei der Immatrikulation vorhersehbar gewesen.

Jörg Steinbach ist da anderer Ansicht. Er nennt den Bewerberandrang „nur eine indirekte Folge der NC-Einführung“. In Berlin hätten schon immer etwa 70 Prozent aller Studiengänge Zulassungsbeschränkungen gehabt. Nun seien es eben 90 Prozent. Schwerer wiege dagegen der Andrang bei den „offenen“ Fächern. An der TU mussten einige Studiengänge zulassungsfrei bleiben, weil keine dauerhafte Auslastung der Kapazitäten nachgewiesen werden konnte. Dort hätten sich statt bislang 700 bis 900 diesmal 5.000 Bewerber einschreiben wollen. Steinbach vermutet eine hohe Anzahl von „Parkstudenten“ darunter. An der FU dagegen sind die Parkmöglichkeiten endgültig abgeschafft. Zwar haben Japanologie und Sinologie noch keinen NC. Doch wer hier parken will, muss Japanisch oder Chinesisch sprechen.

Ralf Hoffrogge vom Referat für Hochschulpolitik des Asta FU hält das „Parken“ für legitim. „Das sind alles Leute, die in ihrem Wunschfach keinen Platz bekommen.“ Die versuchten nur, auf anderem Wege in die begehrten Fächer zu gelangen. Allerdings existierten kaum noch Schlupflöcher. Der Asta hat laut Hoffrogge in diesem Jahr deutlich mehr abgelehnte Bewerber beraten als vorher. Vielen bleibe nur der Rechtsweg. Daniela Theodoreszu vom ReferentInnenrat der Humboldt-Universität hat Ähnliches beobachtet: „Die Klage- und Immatrikulationsberatung war nie so voll.“