In zehn Minuten zum Nichtraucher

Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) blickt auf 100 Jahre ihrer Geschichte zurück. Und präsentiert auf ihrem Jubiläumskongress in der südniedersächsischen Universitätsstadt Überraschendes – vor allem erstmals eine Präsidentin

aus göttingenholger schleper

Psychologie ist „in“. Das zumindest vermitteln die Zahlen, die der noch amtierende Präsident der DGPs, Wolfgang Schneider, während des 44. Kongresses der Gesellschaft präsentieren konnte. Gab es 1960 noch 2.000 Studierende des Faches, sind es heute rund 32.000. Dazu gibt es über 45.000 berufstätige Psychologen im Lande. Grund genug, die Geschichte des Faches auf der bis Donnerstag stattfindenden Veranstaltung nachzuzeichnen und eine vielgestaltige Leistungsschau abzuhalten.

1904 wurde die DGPs in Gießen als „Gesellschaft für experimentelle Psychologie“ gegründet. Maßgeblicher Initiator war der Göttinger Wissenschaftler Georg Elias Müller. Da nur wissenschaftlich ausgebildetes Personal Mitglied der Gesellschaft werden durfte, wurde sie schnell zur anerkannten Standesvertretung von Psychologinnen und Psychologen.

Während der Nazi-Zeit verlief die Entwicklung der DGPs ähnlich wie an vielen deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Die Gesellschaft ordnete sich nicht nur sofort unter, sondern zeigte vorauseilenden Gehorsam: Noch bevor die Machthaber es verlangten, schloss sie ihre jüdischen Mitglieder aus. Viele bedeutende Psychologen emigrierten in die USA. Göttingen war dann 1948 Stätte des Wiedergründungskongresses.

Die derzeitige Versammlung stellt den größten deutschsprachigen Kongress der wissenschaftlichen Psychologie dar. Und wartet mit einigen personellen und fachlichen Neuheiten auf. Erstmals in der Geschichte der Gesellschaft wird morgen mit Hannelore Weber eine Frau Präsidentin der DGPs. Bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass „sich in der Fachwirklichkeit sehr viele Frauen etabliert haben“, so die designierte Leiterin. Tatsächlich liegt der Frauenanteil unter den Studierenden bei 75 Prozent.

Richtungsweisendes kann auch die Forschung präsentieren. Laut einer Untersuchung Stefan Klingbergs, Professor an der Uni-Klinik Tübingen, zeigt sich die psychologische Therapie schizophrener Störungen äußerst effektiv. „Trotzdem wird sie in Deutschland vernachlässigt“, moniert der Psychologe. Stattdessen werde zu einseitig auf eine medikamentöse Behandlung gesetzt. In Deutschland erkranken 800.000 Menschen mindestens einmal im Leben an der Störung, die mit wahnhaften Überzeugungen, Sinnestäuschungen, aber auch emotionalem Rückzug verbunden sein kann.

Wegen der notwendigen umfassenden Betreuung von Betroffenen sind die Kosten für das Gesundheitssystem mit denen von Volkskrankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen vergleichbar. Herzpatienten, die eine gesunde Lebensführung erlernen wollten, waren Probanden einer Untersuchung Ralf Schwarzers von der Freien Universität Berlin. Das Ergebnis: Eine Anleitung zum Überwinden des „inneren Schweinehundes“ in zehn Minuten. Dabei soll der Änderungswillige in drei Schritten zunächst sein Ziel benennen, dann schriftlich festhalten, was ihn daran hindern könnte und zuletzt Wege aus diesen Widrigkeiten aufschreiben.

Der Zeitaufwand lohnt laut Schwarzer, denn die Verhaltensänderung hielt häufig über Monate. „In zehn Minuten zum Nichtraucher ist vielleicht überspitzt formuliert, aber es geht in die Richtung“, so Schwarzer. Weiterer bemerkenswerter Befund: Zwischen Musikern und Nichtmusikern gibt es entgegen gängigen Vermutungen keine Intelligenzunterschiede. „In vereinzelten Bereichen wie der Wahrnehmung vielleicht, nicht aber in der Gesamtintelligenz“, so Thomas Rammsayer, Mitgestalter der Untersuchung.

In die Reihe der Neuheiten fügte sich auch, dass mit Christian Wulff (CDU) erstmals seit 28 Jahren ein niedersächsischer Ministerpräsident Göttingen einen offiziellen Besuch abstattete. Als Gastredner bei der Eröffnungsveranstaltung schrieb er der Hochschule ins Stammbuch: „Bedenken Sie, dass das Land jeden Tag sieben Millionen Euro an Zinstilgung zu zahlen hat. Deshalb bedeuten die 50 Millionen Einsparungen an den Hochschulen in Relation lediglich eine Woche Tilgung für das Land.“

DGPs-Präsident Schneider verlas in einer anschließenden Rede Ausschnitte einer Kongresseröffnungsrede Elias Müllers von 1914. Schon damals beklagte Müller die klammen Kassen der Hochschule. Und zog Konsequenzen: Vertreter aus Regierungskreisen könnten in diesem Jahr nicht eingeladen werden. Der Aufwand der Betreuung sei zu hoch. Lieber wolle man das Geld in die Forschung investieren.