Blumenbilder unter die Haut

Es muss wehtun: Bei einer als Blind-Date-Tätowierabend getarnten PR-Aktion einer angesagten Zigarettenmarke im Keller des White Trash kommen qualmende Singles zusammen und wählen sich gegenseitig Motive für ihre Körper aus

Totenkopf, Schwalbe oder vielleicht doch ein ganz individuelles chinesisches Zeichen? Muss man nicht lange überlegen! Nach kurzem Stöbern im Tattoo-Katalog entscheidet sich Nils für eines der aussagekräftigen Standardmotive: Verzierte Blumen. Neben ihm atmet Silke erleichtert auf. „Jetzt muss ich doch nicht die Ausweichstelle am Rücken nehmen“, sagt sie. Wenig später lässt sich die 24-Jährige unter deutlicher Anspannung im Gesicht die Blümchen auf dem rechten Oberarm verewigen. „Sieht echt schön aus und passt gut zu mir“, findet die gelernte Erzieherin. Das Motiv erinnert an die Bravo-Extras zum Aufkleben. Autsch!

Beim „Extreme Date“ am vergangenen Samstag im Tattoostudio „No pain no brain“ war von den Teilnehmern Nils und Silke voller Körpereinsatz gefragt. Statt Kerzenlicht und Wein erwarteten die Singles grelles Licht und Desinfektionsmittel im Tattookeller des White Trash Fast Food in der Schönhauser Allee. Die Oldenburgerin und der Hamburger, die sich um 19 Uhr zum ersten Mal begegneten, suchten bereits um 20 Uhr Tattoos füreinander aus, um sich diese kurze Zeit später an einer frei wählbaren Körperstelle handflächengroß unter die Haut spritzen zu lassen.

Das Trash-PR-Event initiierte die Kommunikationsagentur Faktor 3 aus Hamburg für eine amerikanische Zigarettenmarke. Nach einem Internetaufruf in verschiedenen Foren bewarben sich laut Marc-Pierre Hoeft, PR-Berater bei Faktor 3, rund 40 Singles für die schmerzhafte Variante, neue Leute kennenzulernen. Vier Kandidaten wurden nach verschiedenen Kriterien ausgewählt. „Wir haben geschaut, dass die Leute zusammenpassen, und natürlich auch geprüft, ob sie gesundheitlich infrage kommen“, so Hoeft. Deshalb setzte man auch die Bedingung „Raucher“ in die Bewerbungskriterien. Von den geplanten zwei Dates am Abend platzte eines wegen Nichterscheinen. Der Teilnehmerin aus Berlin hatte vorher wohl jemand den Kopf gewaschen.

Das konnte bei Nils niemand übernehmen. Der Lehrling zum Industriekaufmann erzählte nicht einmal Freunden von seinem Date. Anscheinend ist er vor ihnen nicht so cool wie auf dem Stuhl im Körperkultstudio. „Ich bin berlingeil, ich bin tattoogeil und ich bin geil auf neue Leute“, sagt er, während er seinen Oberkörper präsentiert. Die von Silke ausgewählten angesagten schwarzen Sterne zieren bereits die Stelle unter dem linken Schulterblatt und sind zum Schutz mit Plastikfolie überdeckt. Acht Jahre hat er überlegt,was er sich nach dem Tribal am Oberarm noch tätowieren soll. Dank Silke und kreativer PR-Berater hat Nils sein gravierendes Problem gelöst.

Für Marc Gressl, Inhaber des White Trash, zu dem neben dem „No pain no brain“ der White Noise Club und das Fast-Food-Restaurant gehören, ist die Veranstaltung genau das Richtige. Schließlich passe, laut Gressl, das Konzept gut in den Trash-Club und das im Februar neu eröffnete Studio im Untergeschoss.

Auch bei seinen Gästen erregt das Event Aufsehen. „Yes it hurts“ – der Schriftzug an der Wand des Studios sticht rauchenden Schaulustigen, die durch die Glaswand das Event beobachten, ins Auge. Auch ihnen scheint die Aktion Schmerzen zu bereiten. Allerdings eher im Kopf. „Tattoos sind etwas Persönliches. Man kann sich doch nicht irgendetwas stechen lassen“, sagt eine 25-Jährige im Nachhinein. Auch ein tätowierter Mann schüttelt lachend den Kopf: „So ein Tattoo ist eine Entscheidung fürs Leben.“ Auch wenn sich Silke und Nils nach gemeinsamem Abend, vielen Zigaretten und bezahlter Nacht im Hotel nicht wiedersehen sollten, erinnern werden sie sich wohl immer aneinander. Für „pain“ braucht man eben nicht unbedingt „brain“.

JUDITH NOACK