Eine Welt der flinken Fäuste

Eine Weile lebte St. Thomas in Berlin, dann wurde es ihm zu hell und er kehrte in seine norwegische Heimat zurück, wo er sich besser nach dem Wilden Westen sehnen kann. Jetzt gastiert er in Berlin und stellt seine neue Platte vor

Für den norwegischen Postboten Thomas Hansen begann alles mit einem Hobby, dem er nachging, wenn die Post in den Straßen seiner Heimatstadt Bergen ausgetragen war: In der Abgeschiedenheit seines kleinen Schlafzimmers, im Haus seiner Eltern, schrieb er Country-Songs und spielte sie auf einem Vier-Spur-Aufnahmegerät ein. Hansen komponierte langsame und bedächtige Melodien, sang wehmütige, schwärmerische, traurige Lieder.

Nun ist es ja nicht so, dass andere nordeuropäische Bands wie The Crash, die Cardigans oder Turbonegro nicht auch den Schwermut zu ihrer Grundverfassung erklärt haben und ihre nicht eben sonnenverwöhnte Heimat dafür verantwortlich machen. Und auch Bands wie die Kings Of Convenience, Ai Phoenix und Röyksopp, die aus demselben 3.000-Seelen-Dunstkreis wie Hansen stammen, ist ein melancholischer Grundton eigen. Mit Banjo, Schellen, Mundharmonika und Steel-Gitarren aufzuspielen und den Weltschmerz aus dem hohen Norden mit etwas Lagerfeuerromantik abzufedern – auf diese Idee ist außer den Leningrad Cowboys bislang aber nur Thomas Hansen gekommen.

Thomas Hansen gefiel es, die Sehnsucht nach dem Wilden Westen von seinem entlegenen Winkel aus zu besingen, ihm gefiel das Image und musische Repertoire des Country-Cowboys. Und das zu einem Zeitpunkt, da dieses weitgehend von der Bildfläche des Mainstream verschwunden war. Erst heute fangen aktuelle Produkte der westlichen Kulturindustrie den „Wilden Westen“ und seine mythische Strahlkraft wieder verstärkt ein: Der aktuelle Tarantino-Film „Kill Bill“ greift auf Elemente des Spaghetti-Westerns zurück, der Modedesigner Roberto Cavalli gestaltet seine neue Kollektion ganz im Stil aufgedrehter Pionier- und Saloonmoden, und die US-Sängerin Pink lässt sich für ihre aktuelle Single als randalierende Saloon-Schönheit inszenieren. Die Welt, in der raubeinige Männer mit verfärbten Zähnen und flinken Fäusten regieren, ist so beliebt wie lang nicht mehr.

Als sich Hansen aka St. Thomas im Jahr 1998 in abgewetzten Jeans, Lederstiefeln und Cowboyhut porträtieren ließ, da ging es ihm jedoch zunächst wohl kaum um ein prophetisch-extravagantes Image, das damals nur wenige pflegten. Der junge Mann, der seine Songs Freunden vorspielen musste, um genug Mut zu gewinnen sie weiterzuentwickeln, verbarg vielmehr seine schüchterne Zurückhaltung hinter der Fassade des bärbeißigen Country-Kauzes. Und er gefiel sich in der Rolle des Einzelgängers, der keinem außer sich selbst verpflichtet ist.

Als das Berliner Plattenlabel City Slang St. Thomas unter Vertrag nahm, da tauschte er die heimatliche Dauerdämmerung gegen das härtere Licht der deutschen Hauptstadt ein. In einem Land, wo Bands wie FSK und Fink seit Jahren an der Begeisterung für Country für ein kleineres, eingeweihtes Publikum gearbeitet haben und in dem Bands wie Calexico heute mehr Platten verkaufen als in ihrer Heimat Amerika, erspielte sich St. Thomas sehr schnell einen Ruf als legendärer Live-Performer. Beflügelt von seinem guten Freund Alkohol, erzählte der sonst eher einsilbige Hansen auf der Bühne skurrile Anekdoten und bezauberte damit vor allem sein Berliner Publikum, das sich meist aus der LoFi-Boheme rekrutierte.

Doch seine Vision vom „Lonesome Cowboy“, der sich im Berliner Nest aufwärmen kann, hielt der Realität nicht stand. St. Thomas fühlte sich in Berlin immer weniger heimisch, vielleicht war ihm die Stadt zu hell, um sich in ihr weiterhin nach dem Westen sehnen zu können, jedenfalls wurde der Vertrag mit City Slang nicht verlängert und Hansen kehrte nach Oslo zurück: „Ich musste mein Leben neu sortieren. In Berlin war ich zu isoliert, habe zu viel gesoffen, und das war nicht sonderlich gesund. Die Freiheit war zu groß. Ich brauche Leute, die sich um mich kümmern.“ So machte der ehemalige Postbote Thomas Hansen auch wahr, was viele Westernstreifen empfehlen: Ein wackerer Cowboy braucht eine Frau, die ihm den Rücken freihält. St. Thomas’ bessere Hälfte hört auf den Namen Ilse, wohnt ebenfalls in Oslo und wird ihn auf seiner Tour begleiten – stimmlich, an Harmonika und Keyboard. Mit ihrer Unterstützung ist St. Thomas bereits ein neues Album gelungen, das er in Berlin vorstellen wird: „Let’s Grow Together – The Comeback Of St. Thomas“. Klingt, als wäre der Titel Programm.

ALEX BOHN

Am Freitag, 24. 10., gibt es ein Konzert mit St. Thomas im Mudd Club, Große Hamburger Straße 17, Mitte