Kolumbianische Visionen

Der „denkende Körper“ als Spiegel der Welt: Alvaro Restrepo löst im kommenden Jahr den Japaner Hidenaga Otori als Leiter des internationalen Sommerfestivals „Laokoon“ auf Kampnagel Hamburg ab

Der neue Leiter des internationalen „Laokoon“-Sommerfestivals auf Kampnagel Hamburg, der ab Sommer 2005 in der Pflicht steht, ist ein alter Bekannter. Der kolumbianische Choreograf und Tänzer Alvaro Restrepo, der das Festival dann kuratieren wird, ist Kampnagel bereits seit 1992 verbunden. Damals wurde ihm für sein Tanz-Solo „Rebis“ der Mobil Pegasus Preis verliehen. Koproduziert mit dem ersten Laokoon-Festival 2001, entstand die poetische Bilderreise „Tetralogia“. Zuletzt hatte Restrepo vor zwei Jahren in Hamburg mit dem Jugendprojekt CHAT von sich reden gemacht. Der Künstler und Praktiker aus Kolumbien wird die „Laokoon“-Leitung von dem japanischen Theoretiker und Kritiker Hidenaga Otori übernehmen, der nach drei erfolgreichen Festivals, in denen er sich mit der Auswirkung der Globalisierung auf die Performing Arts auseinander setzte, nach Tokio zurückkehrt.

Den von Otori eingeschlagenen Weg, bestätigt Restrepo, wolle er in einem anderen Geist weiterführen. Seine Vision von einem zeitgenössischen Theater gehe vom Körper aus, „von einem denkenden Körper“, betont Restrepo, der bereits Erfahrung in der Festivalleitung aus seiner kolumbianischen Heimatstadt Cartagena mitbringt. Der Körper als Spiegel der Welt: Unter diesen Blickwinkel wird er 2005 sein erstes Laokoon-Festival auf Kampnagel stellen. Als Anthropologen des Tanzes hat man ihn oft bezeichnet – als einen, der in seinen Choreografien stets eine mythische Sicht auf die Welt praktiziert. In seiner „Tetralogia“, einer „Vision von Kolumbien“ schlug er den Bogen einmal rund um den Erdball: Die urzeitliche Verbindung zwischen Asien und Südamerika waren darin ebenso Thema wie das Erbe der spanischen Kolonialherrschaft und die entwürdigende Ausbeutung afrikanischer Sklaven. „Kolumbien wird 2005 auch ein Schwerpunkt des Festivals sein“, kündigt Alvaro Restrepo an. Die reiche und vielfältige Kultur will er international ins Blickfeld rücken, die in dem durch Korruption und Drogenhandel vergifteten und wirtschaftlich am Boden liegenden Land meist übersehen werde: Kolumbien, ein krasses Beispiel für die Schattenseiten der Globalisierung. Kunst und Kultur als nährende Kraft für Selbstbewusstsein und Humanität will er propagieren.

Doch Alvaro Restrepo ist nicht nur Künstler, sondern auch ein gefragter Pädagoge. In Cartagena de Indias am Karibischen Meer, wo der 1957 in Medellin geborene Kosmopolit heute lebt, gründete er 1997 gemeinsam mit der Französin Marie France Delieuvin die Ausbildungsplattform El Colegio del Cuerpo, eine Tanzschule für die Kinder der Ärmsten der Armen. In regelmäßigem pädagogischen Austausch steht er mit Delieuvins Schule im südfranzösischen Angers.

Überhaupt hat sich Restrepo seit Ende der 80er vor allem in Europa einen Namen gemacht, hat zeitweilig auch in Barcelona gelebt. Nach einem Studium der Musik, Philosophie, Literatur- und Theaterwissenschaften in Kolumbien führte ihn ein Stipendium 1981 nach New York, wo er den amerikanischen Modern Dance bei Jennifer Muller, Martha Graham, Merce Cunningham lernte. Die Zusammenarbeit mit dem Koreaner Kyoo-Hyun Cho brachte ihm erste Auftritte auf New Yorks Avantgarde-Bühne La Mama und öffnete ihm den Zugang zu spirituellen Arbeitsweisen.

Mit Alvaro Restrepo hat sich auch Kampnagel-Intendantin Gordana Vnuk einen alten Freund ins Boot geholt – zunächst für ein Jahr. Auch bei Otori war eine Vertragsverlängerung jedes Jahr neu entschieden worden. Das Management übernimmt Honne Dohrmann – früher Leiter des Festivals „Tanz Bremen“. Er möchte „Laokoon“ mit einem umfassendem Rahmenprogramm zu einer „Festivität für Hamburg“ entwickeln.

Marga Wolff