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Ingrid Bachér liest in der Katholischen Akademie aus „Sieh da, das Alter“Leise zerrinnende Zukunft

„Es ist Sommer und ich bin in Italien und die Frage nach dem Alter ist nicht mehr zu umgehen. Lange Zeit hatte ich mich daran gewöhnt, zu den Jüngeren zu gehören, für die das Alter ein entlegener Bezirk ist.“ Mit diesen Sätzen beginnt die 1930 geborene Journalistin und Schriftstellerin Ingrid Bachér ihre Aufzeichnungen im Sommer 2001, die sie bis zum Ende des Jahres weiterführt. Daraus ist das Buch „Sieh da, das Alter – Tagebuch einer Annäherung“ entstanden, das sie jetzt auf Einladung von Literaturzentrum und Katholischer Akademie vorstellen wird.

Sie ist darin dem auf der Spur, was lange nur die anderen betrifft, irgendwann, zunächst fast unbemerkt, dann ins eigene Leben Einzug hält: dem Alter. Wie vollzieht sich der Grenzübergang? Wann und wie erkennt man, dass man den Beobachterposten verlassen hat und mittendrin ist im „entlegenen Bezirk“?

Bachérs Tagebuch ist ein feines Gewebe aus intimer Selbstbeobachtung, persönlichen und historischen Erinnerungen. Sie notiert Szenen des Alltags, manchmal wie en passant, doch immer durchdrungen von einer bislang nicht gespürten Verunsicherung. „Der Makel ist: kaum noch Zukunft haben.“ so bringt Bachér auf den Punkt, was sie immer wieder in diffuses Entsetzen stürzt. Aber auch den Blick schärft: für die sich verändernde Wahrnehmung von Zeit, die paradoxe Strategie, ihrem zu schnellen Vergehen durch Beschleunigung des Tuns zu entkommen.

Man spürt ihre Begabung zur Freundschaft, jetzt durch eine besondere Empfindlichkeit noch intensiviert. In ihren Schilderungen eines erkrankten Freundes scheinen die Anteilnahme wie der Wunsch nach Spiegelung durch. Sein Hadern ist auch ihres, wenn er einverstanden scheint, mit siebzig zu sterben, eine Therapie ablehnt und dann unvermittelt sagt: „Manchmal denke ich, wenn ich morgens aufwache, dann ist alles wieder wie früher.“

Ein roter Faden ist die Durchlässigkeit für Erinnerungen: eine Fülle, die die Gegenwart zu überdecken droht, oft aber als bereichernd erlebt wird. Es scheint, als wolle Bachér sich ihrer selbst vergewissern, indem sie die aufruft, die vor ihr waren: den Vater, die Mutter, andere aus der großen Familie.

Die Stärke der Aufzeichnungen liegt in ihrer Subjektivität. Bachér schaltet sich nicht in den medialen Diskurs über „die Alten“ ein, der sich zwischen demographischer Katastrophenanalyse und Propaganda für den vitalen Senior bewegt. Der persönliche Zugang birgt gehaltvollere Gedanken, weil er die Oberfläche der öffentlichen Rede durchbricht. Die Ängste, die Fragen nach der Sinnhaftigkeit des bisherigen Lebens, die Veränderungen des Körpers, die Diskrepanz auch zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung – oft hinkt das Ich-Gefühl hinterher – fühlen die abgezählten Jahre nicht. Mit diesen Aspekten öffnet Bachér bei aller Individualität das Thema für die Lesenden. Und rührt zudem an vielem, was nicht erst interessant wird, wenn „das Alter“ da ist.

Einmal packt Bachér die nackte Verzweiflung: in Anbetracht des Todes als gewalttätige Bedrohung und Zumutung. Dass auch dieser Aufruhr zum Ausdruck kommt, kommen darf, spricht für das Buch. Weit entfernt von Panikmache verweigert es sich der Ruhigstellung. Es ist eben so, wie es die von Bachér zitierte Mae West formulierte: „Das Alter ist nichts für Feiglinge.“

Carola Ebeling

Ingrid Bachér: „Sieh da, das Alter. Tagebuch einer Annäherung.“ Berlin/Köln 2003, 191 S., 17,80 EuroLesung: Do, 30.9., 19 Uhr, Katholische Akademie, Herrengraben 4

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