Zielgerade auf den Bildschirmen

Heute Abend stehen sich US-Präsident George W. Bush und sein Herausforderer John F. Kerry bei ihrer ersten Fernsehdebatte gegenüber – Kerrys Chance zum Aufholen viereinhalb Wochen vor der Wahl

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Heute Abend hat John F. Kerry vielleicht die letzte Chance, im Rennen um das Weiße Haus das Ruder noch einmal herumzureißen. 90 Minuten lang wird er in der ersten von insgesamt drei Fernsehdebatten Präsident Bush gegenüberstehen. Während dem Amtsinhaber eine befriedigende Note reichen dürfte, muss der Herausforderer schon ein „ausgezeichnet“ hinlegen, um noch unentschlossene Wähler zu überzeugen.

Mit den Debatten nähert sich das Drama des US-amerikanischen Wahlkampfes seinem Höhepunkt. Nach den Vorwahlen, Parteitagen und kurz vor dem Urnengang gelten die seit 1960 traditionell ausgetragenen TV-Duelle als letzte Hürde. An ihr sind schon vermeintliche Sieger gestrauchelt, während abgeschlagen geglaubte Kandidaten plötzlich zu Hochform aufliefen und gewannen.

Deswegen wird bei der Vorbereitung möglichst wenig dem Zufall überlassen. Monatelang verhandelten beide Wahlkampf-Teams über Ablauf und Rahmenbedingungen. So sind keine Notizen erlaubt. Beide Kontrahenten dürfen lediglich ein leeres Blatt Papier und Stift mitnehmen. Der Moderator gibt zu jedem Themenkomplex eine Antwortzeit vor. Die Kamera darf immer nur denjenigen zeigen, der gerade spricht. Seit Tagen proben nun Kerry und Bush zurückgezogen vom Wahlkampfrummel mit Sparringpartnern den Schlagabtausch.

Doch auch die beste Übung kann nicht verhindern, dass den Duellanten Patzer oder unvorteilhafte Gesten unterlaufen. Als Bush Senior während der Debatte mit Bill Clinton auf seine Uhr schaute, spottete die Öffentlichkeit, dass seine Zeit abgelaufen sei. Gerald Ford wurde 1976 in der Debatte mit Jimmy Carter zum Verhängnis, dass er dem verblüfften Publikum mitteilte, die Sowjetunion hätte keinen Einfluss auf Osteuropa.

Bush Junior geht heute mit Rückenwind in die Debatten. Die meisten Umfragen sehen ihn vorn. Seine Kampagne zur Charakterzerstörung Kerrys hat Früchte getragen: Viele US-Amerikaner haben vom Senator aus Massachussetts keine besonders hohe Meinung. Doch Bush ist verwundbar. Die Mehrheit der Wähler sieht das Land auf dem falschen Weg, ist unzufrieden mit der Wirtschaftssituation und hält den Irakkrieg für einen Fehler. Kerry muss es daher gelingen, den Finger überzeugend in diese Wunden zu legen.

Selbst Republikaner gestehen, dass Kerry eine harte Nuss ist, wenn es in Debatten geht. Er kann aggressiv sein, zuweilen schlagfertig und verfügt über ein hohes Detailwissen. Wie Bush hat er in seiner Politikerlaufbahn noch kein TV-Duell verloren. Doch Kerry neigt zu ausschweifenden und komplizierten Antworten. Bush hingegen hält sich stur an kurze, einfache, jedoch prägnante Botschaften. Obwohl rhetorisch unbegabter, schaffte er es am Ende immer wieder, Debatten zu gewinnen, auch oder gerade gegen Kandidaten, die über mehr Wissen und Erfahrung verfügten, siehe Al Gore.

Dies liegt daran, dass es während der TV-Auftritte mindestens genauso viel um Stil wie Inhalte geht. Wankelmütige Wähler, die am Ende aus dem Bauch heraus entscheiden, achten viel mehr darauf, wer von beiden größere Volksnähe zeigt, wer humorvoller, sympathischer, dominanter oder selbstsicherer ist. „Eigentlich sind es gar keine Debatten, sondern Bühnen, auf denen sich die beiden Kandidaten darstellen können“, räumt Sheila Tate ein, die Bush für seinen Auftritt trainiert. So oder so wird sich heute Nacht beweisen, ob Kerry seinem Ruf aus den Vorwahlen alle Ehre macht, am besten aus der Position des Verfolgers zu agieren und seinen Gegner beim Einbiegen auf die Zielgerade zu schlagen.