ddr, 30. 9. 1989: noch 9 Tage bis zur Wende: DDR-Flüchtlinge „bar jeder Verantwortung“
– 5.000 Flüchtlinge warten in der Botschaft in Prag, 800 in Warschau
– Im thüringischen Arnstadt demonstrieren 800 Menschen für Meinungsfreiheit.
– Leipzigs Superintendent Johannes Richter sendet an die Pfarrämter des Kirchenbezirkes einen Aufruf zur Gewaltlosigkeit.
– Nach Kirchenangaben wurden elf Teilnehmer der Leipziger Friedensgebete zu Haftstrafen bis zu sechs Monaten verurteilt.
– Protestschreiben Lausitzer Umweltgruppen an die Leipziger Staatsanwaltschaft: Seit dem 11. September seien 17 Teilnehmer der Montagsdemo in Haft. Die Gruppen fordern, alle Gefangenen sofort „in die DDR“ freizulassen. Sie errechneten, dass bis dato Ordnungsstrafen in Höhe von 66.000 Mark gegen Montagsdemonstranten verhängt wurden.
– Rede von Manfred Gerlach, Chef der LDPD der DDR: „Was Liberaldemokraten heute mit Sorge erfüllt, ist, daß sich politische Wachsamkeit auch gegen Bürger zu kehren beginnt, die sich kooperativ an der Gestaltung des Sozialismus beteiligen wollen.“
– Außenminister Genscher verkündet am Abend in der Prager Botschaft, dass die Flüchtlinge in die Bundesrepublik ausreisen können. Hohe Beamte der Bundesregierung sollen die Züge bei der Fahrt durch die DDR begleiten.
DDR-Regierungssprecher Wolfgang Meyer sagt über die Menschen, die jetzt ausreisen dürfen:
Bar jeder Verantwortung handelten Eltern gegenüber ihren Kindern, die im sozialistischen deutschen Staat wohlbehütet aufwuchsen, denen alle Kindereinrichtungen, Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten offen standen. Unter diesen Leuten befinden sich auch Asoziale , die kein Verhältnis zur Arbeit und auch nicht zu normalen Wohnbedingungen haben. Sie alle haben durch ihr Verhalten moralische Werte mit Füßen getreten, sich selbst aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt. Man sollte ihnen keine Träne nachweinen. RENI
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