Wilder Russe mit Schrankwand

Seine Bücher beschreiben keine wirkliche Wirklichkeit, aber trotzdem freut er sich, wenn er mit ihnen seine deutschen Leser erschrecken kann: Ein Porträt des ukrainischen Autors Michail Jelisarow, der kürzlich seinen Wohnsitz nach Berlin verlegt hat

von SUSANNE MESSMER

Der Querulant stört gern den Unterricht. Besonders wo sich die Besseren um das Höhere versammeln, ist der Querulant ganz bei sich. So wie kürzlich im Litertarischen Colloquium am Wannsee. Hier fand wieder einmal eine dieser Lesungen statt, auf denen selten Überraschendes passiert. Gerade hatte man es sich gemütlich gemacht, da betrat ein besonders gelungenes Querulantenexemplar die Bühne, inklusive Rocker-Lederjacke und Zopf: der ukrainische Schriftsteller Michail Jelisarow, der Philologie und Gesang studiert, als Regisseur und Kameramann gearbeitet hat und seit kurzem in Berlin wohnt. Er sollte aus seinem gerade erschienenen Roman „Die Nägel“ lesen, dem ersten seiner Texte, die ins Deutsche übersetzt worden sind. Stattdessen berichtete er von seinen Schwierigkeiten, in Deutschland anzukommen.

Berlin sei zwar wie Moskau, nur ohne Banditen, sagte er, aber trotzdem: In Russland habe er immerhin um die 20.000 Bücher verkauft – eine Auflage, von der er in Deutschland nur träumen kann. Wenn er in Moskau irgendwo klingeln würde, sei die Wahrscheinlichkeit nicht klein, dass ihm einer öffnet, der sein Buch gelesen hat und ihn deshalb zu 50 Gramm Wodka einlädt. Und 20.000 mal 50, „das wäre doch was“, sagte Michail Jelisarow und schien seinen Umzug kurz zu bereuen. Gleichzeitig hatte seine Performance auch etwas Kokettes: Ob er so auch in Russland Aufsehen erregt hätte?

Besucht man Michail Jelisarow in seiner neuen Wohnung in Friedrichshain, schießt einem unweigerlich durch den Kopf, dass ein deutscher Schriftsteller so nie wohnen würde. Nie würde er seine Altbauwohnung mit Raufasertapete und Bücherwand gegen die schwarze Schrankwand von Michail Jelisarow tauschen. Doch auch in dieser Umgebung, die wohl auch so ist, wie sie ist, weil Michail Jelisarow in Deutschland auf dem Existenzminimum lebt, hält Michail Jelisarow an seiner aufmüpfigen Rolle fest. Als es um die Frage geht, wie sein Roman in Deutschland aufgefasst worden sei, sagt er gleich: „Ich habe mich gefreut, dass mir alle auf den Leim gegangen sind.“

Michail Jelisarows erstes Buch, das in Russland als Hauptgeschichte einer ersten Buchveröffentlichung mit insgesamt 27 anderen Storys verkauft wurde, erzählt die gruselig komische Geschichte zweier Findelkinder, die in der Zeit vor dem Ende der Sowjetunion in einem Heim für geistig behinderte Kinder Freundschaft schließen. Gloster, der einen Buckel hat, hält sich allerdings ebenso wenig für geisteskrank wie seinen Kumpel Bachatow mit der „verbeulten Schädelform“, der die Demütigungen und Misshandlungen der Pfleger nur übersteht, indem er sich seltsam rituell immer wieder die Fingernägel abknabbert. Als die beiden volljährig sind und entlassen werden, kriegen sie in der chaotischen postsowjetischen Gesellschaft nur die Kurve, weil der hyperbegabte Gloster als Starpianist Fuß fasst. Die bösen Geister aus dem Heim lassen sich dennoch nicht so leicht verjagen.

„Ich wollte kein sozialkritisches Buch schreiben über die schlimmen Zustände der Psychiatrie in der Sowjetunion“, sagt Michail Jelisarow, ist aber weit davon entfernt, sich über diese Annäherung an sein Buch in vielen deutschen Rezensionen zu beschweren: „Das ist alles Quatsch. Was ich beschreibe, das kann nicht einmal in Russland geschehen“, sagt er und erzählt dann, dass er sich Gloster und Bachatow nur deshalb ausgedacht hat, weil sie jede Situation, in die er sie gestellt hat, anders drehten als erwartet. „Ich habe mir Gloster vorgestellt wie eine Person, die auf der Straße um Geld bettelt. Und weil er sein Geld nicht sofort bekommt, muss er immer weiter reden. Eigentlich glaube ich Gloster gar nichts. Wahrscheinlich kann er weder Klavier spielen noch hat er einen Freund wie Bachatow.“

Als es im Gespräch in seiner Friedrichshainer Wohnung darum geht, einen Begriff für seine Erzählung zu finden, nach dessen Muster auch sein bislang nicht übersetzter erster großer Roman „Pasternak“ funktioniere, hält Michail Jelisarow weder „Märchen“ noch „Parabel“ für passend. Dann aber beschreibt er ein Konzept, wie man es in Deutschland bislang von Autoren wie Wiktor Pelewin oder Vladimir Sorokin kennt, die sich parodistischer, grotesker und vielschichtiger Erzählstrategien bedienen, um die Monster der kommunistischen Vergangenheit gegen die der kapitalistischen Gegenwart auszuspielen. „Jeder soll in meinen Erzählungen bekommen, was er will“, sagt er.

Es gibt einen aktuellen Text von Michail Jelisarow, in dem er versucht, den Deutschen, die in diesem Jahr mit annähernd 200 neu übersetzten russischen Büchern konfrontiert wurden, ein wenig beim Sortieren zu helfen. Darin schreibt er, der übrigens schon deshalb nicht in die Ukraine zurückwill, weil dort Russisch, die Sprache, in der er schreibt, an den Schulen nur noch als Fremdsprache unterrichtet wird: „Mein Land … nährt sich nach wie vor vom unterirdischen Wasser jahrhundertealter Angst.“ Auch wenn die klaustrophobische Stimmung, die Michail Jelisarows Bücher erzeugen, nicht echt sein will: Er scheint es zu genießen, wenn seine Literatur in Deutschland für ein authentisches Bild erschröcklicher Wirklichkeit gehalten wird. Michail Jelisarows Spiel mit dem Klischee des wilden Russen – es scheint ihm zu gefallen.