: Ich und Übermir
Totalverfliesungen und kleine Strapsmäuse: Das neue Programm von Andreas Rebers in der Bar jeder Vernunft
Premieren in der Bar jeder Vernunft sind eine Herausforderung für die Physis. Zunächst gilt es, auf dem knappen Platz die richtige Körperdrehung für den optimalen Bühnenblick zu finden, die Füße züchtig unter die Knie gestellt. Weil aufstehen heißt, vier andere aufzuschrecken, bleibt man sitzen. Dann beginnt die Show, und schnell wird klar, dass es sich gelohnt hat, das Warten im Nonnensitz.
Da sind die Bühnenpartner, das Akkordeon und das Klavier, und da ist der Kabarettist, der aus seinem Zyklus „neuer deutscher Arbeiterlieder“ vorträgt. In „Nebenan und nebenbei“ nimmt Andreas Rebers die Gestalten auf, die er in seinem letzten Soloprogramm „Ich mag mich trotzdem“ entwickelt hat. Wieder ist das Innere zerfallen in „Ich“, „Untermir“ und „Übermir“. Rebers gibt das Untermir, die Hausmeistergestalt, die, die beim Eisentor mit dem Instrument Positur bezieht oder im Unterstand bei der Mülltonne den Restmüll überprüft. Verpackungen. Er regt sich auf. „Guck doch nicht hin“, sagt „die Frau“. „Sind wir in Deutschland wieder so weit?“, sagt er, und zieht sich in den „norddeutschen Heimatraum“ zurück, ein Refugium mit Totalverfliesung und niedriger Decke aus Holzimitat.
Andreas Rebers spielt sich in vermeintlich Bekanntes hinein, und was er darin entstehen lässt, ist ein Ensemble idiosynkratischer Gestalten, die den Zuschauer nicht mehr verlassen werden. Bisweilen nimmt er das Instrument zur Hand, am Akkordeon glitzert der Strass, eng binden die Riemen das Instrument an den Spieler – die „kleine Strapsmaus“, das Instrument als Liaison. Dann wird es stiller und Rebers gleitet von einer Paralleltonart in die nächste, bis das Sanfte umschlägt ins Boshafte und hinter dem Alltäglichen der Irrsinn hervorscheint. Ihm gelingt, wovon sein Taxifahrer singt: „Ich hole Sie da ab, wo Sie sind – und bringe Sie hin, wo Sie nie hinwollten.“ KATRIN KRUSE
Heute, 20 Uhr, Fr. bis So., 24.–26. 10., 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24, Wilmersdorf
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