Warten auf den Tag X

Eine Ausstellung zeigt Plakatkunst aus zwei Jahrzehnten Anti-AKW-Bewegung. Die Transparente zitieren etwa den Künstler Joseph Beuys – und spielen mit reichlich linkisch linkem Subtil-Humor

von JOHANNES GERNERT

Irgendwann hat sich das X durchgesetzt als Erkennungszeichen des Widerstands. Zwei Striche, um nachdrücklich Nein zu sagen. Ein Buchstabe drückt Dagegensein aus. Innerhalb der Anti-Atom-Bewegung funktioniert das X zudem als Unbekannte. Es steht für jenen als geheim gehüteten Tag, an dem der Castor durchs Land transportiert werden soll. Das Warten darauf wird jedesmal von Parolen-Plakaten begleitet: „Castor stoppen“ oder „Atomstaat angreifen“. Oft durchkreuzt hinter der Forderung ein kräftig schwarzes X einen Reaktor. Wenn die Aktivisten vom Anti-Atom-Plenum ihrer Ausstellung über antinukleare Plakate im Café Morgenrot, Kastanienallee, dem vorvorletzten Alphabetsbuchstaben eine eigene Ecke widmen, wird das den vielen Bedeutungen der gekreuzten Striche immerhin annähernd gerecht.

In besagter Abteilung X also leiht der grüne Aktionskünstler Joseph Beuys dem Widerstand dort Bild und Wort. „Gorleben soll auch leben“ endreimt er, ganz im Sinne seines Diktums, „die Zerstörung des Menschgemäßen zu verhindern“. Zum Zwecke der Verhinderung darf gerne gestört werden.

Dazu rufen nahezu alle Aushänge auf. Ob sie nun, wie in den Achtzigern, alle möglichen Atomtransportfahrzeuge abbilden und deren Funktion erklären, nüchtern deskriptiv, ohne jegliche Aufforderung. Ob sie Slogans zeigen, die ganz ausdrücklich „keine Sprayschablonen“ sind. Oder ob sie zwischen zahlreichen Xen frech verkünden: „Niemand hat die Absicht, Castor-Blockaden zu errichten“.

Natürlich nicht. Wie kommt jemand nur da drauf? Es gibt zu dieser Form von linkisch linkem Super-Subtil-Humor einen passenden Gesichtsausdruck der aufgesetzten Ahnungslosigkeit. Schüler geben so nach fiesen Scherzen vor ihren Lehrern entrüstet den Harmlosen: „Ich? Ich hab’ doch nichts gemacht.“

Die Ausstellungsmacher vom Anti-Atom-Plenum grinsen manchmal ähnlich, wenn sie sich über einen ironischen Spruch freuen. Oder über den „97er“ ins Philosophieren kommen, wie Weinliebhaber über einen guten Jahrgang. Im Grunde ist ihnen die Sache aber ernst. Die Ausstellung soll ins Gedächtnis rufen: „Man kann da Widerstand leisten“, sagt Rolf, der eigentlich ganz anders heißt. So wie man mit den Plakaten „Präsenz im Stadtbild“ demonstrieren wolle.

Um sie in ihrer „natürlichen Umgebung vorzustellen“, haben die Aktivisten „Flatschen“ für den Hintergrund gesammelt. Breitwändige, mehrfachst verleimte Schichten von Glanzpapier, wie sie an jedem Bauzaun hängen. Auf diese Ansammlung haben sie alte Plakate geklebt. Irgendwie ist das alles sehr retro und sehr meta.

An einem Tag X im November werden auch Rolf und die anderen im Wendland sein. Obwohl „die April-Castoren netter waren“, des Wetters wegen. Das ist und bleibt eben immer wieder eine große Unbekannte. Ein X.

Die Ausstellung läuft noch bis 9. November im Café Morgenrot, Kastanienallee 85. Eine Infoveranstaltung mit Film gibt es am 29. Oktober um 20 Uhr, einen Vortrag über die Bedeutung der Plakate am 5. November um 20 Uhr