Nach dem Gelingen

Machtkampf beendet: Ulla Berkéwicz, die Witwe von Siegfried Unseld, wird in Zukunft den Suhrkamp Verlag leiten

Was sich während der Buchmesse mit Ulla Berkéwicz’ schlüpfrig-pathetischer Machtdemonstration bei der Siegfried-Unseld-Gedenkfeier angedeutet hatte, was letzte Woche noch als Gerücht kursierte, aber von wohlinformierten Feuilletons gezielt gedroppt worden war, ist nun amtlich und von Suhrkamp offiziell bestätigt worden: Ulla Berkéwicz, Witwe von Siegfried Unseld, wird in Zukunft den Suhrkamp Verlag leiten. Ihr fällt, wie es in der Mitteilung heißt, „als der alleinigen Geschäftsführerin der Verlagsleitung GmbH die Aufgabe der Vorsitzenden in der Geschäftsführung der Verlage zu“. Und: „Günter Berg ist ihr Stellvertreter“.

Bislang bestand die Geschäftsführung des Verlags aus Günter Berg, zuständig für die verlegerischen Belange, und dem kaufmännisch orientierten Philip Roeder. Dazu kommt der Leiter des literarischen Programms, Rainer Weiss, um so insgesamt „eine notwendige breitere Arbeitsteilung“ zu schaffen.

Das klingt nach einem geschäftsmäßig sich vollziehenden Führungswechsel innerhalb eines Verlages, wie er immer wieder vorkommt und vorkommen muss. Doch geht es hier um den vielleicht einflussreichsten Verlag der Nachkriegszeit, zumindest bis in die Achtzigerjahre hinein; um einen Verlag, der eine ganze Kultur begründet hat, die „Suhrkamp-Kultur“, als Gegengewicht zum politischen Mainstream vor allem der Fünfziger- und Sechzigerjahre; um einen lebenden Mythos also, der aber mit der Gegenwart seine Probleme hat, auch unter Unseld noch, und zuletzt zweifelhafte verlegerische Entscheidungen traf (Honderich, Bloch, Hartlaub).

Zumindest scheint jetzt ein Machtkampf beendet worden zu sein, der wohl seit dem Tod des Suhrkamp-Patriarchen Siegfried Unseld geführt wurde, dessen Wurzeln aber schon in der erfolglosen Suche Unselds nach einem ihm gemäßen Nachfolger liegen. Auch seinem Sohn Joachim, einst als Nachfolger auserkoren, traute er die Leitung nicht zu – Joachim Unseld verließ den Verlag und führt inzwischen erfolgreich einen eigenen. So ersann Siegfried Unseld eine komplizierte Nachfolgeregelung zur Sicherung seines intellektuellen und finanziellen Erbes: eine Holding-Gesellschaft, die so genannte Verlagsleitung GmbH, hat rechtlich die Rolle des verstorbenen Verlegers übernommen. Geschäftsführer dieser Verlagsleitung bislang: Günter Berg und Philip Roeder. Diese Holding-Gesellschaft gehört der „Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung“ zu 51 Prozent, der Schweizer Gesellschaft Volkart Holding zu 29 Prozent und Joachim Unseld zu 20 Prozent. Dazu kommt ein Stiftungsrat aus prominenten Geistesgrößen, u. a. Habermas, Kluge und Enzensberger, die dem Verlag programmatisch und intellektuell die Richtung weisen sollen.

Den Beschluss des Führungswechsels hat die Gesellschafterversammlung der Verlagsleitung GmbH getroffen, nach Anhörung des Stiftungsrates – Berkéwicz ist nun leitende Geschäftsführerin und als Vorsitzende der Familienstiftung auch Mehrheitseignerin, sitzt also quasi in Vorstand und Aufsichtsrat.

An ihr entzündet sich nun aller Streit. Darf sie so viel Macht haben, die Siegfried Unseld qua verlegerischer und intellektueller Größe ganz selbstverständlich hatte? Wollte Unseld nicht genau das vermeiden mit seiner komplizierten Nachfolgeregelung? Ist sie, die früher Schauspielerin war, bevor sie Autorin und Frau Unseld wurde, und deren öffentlichen Auftritte immer große, weihevolle Inszenierungen am Rande des Erträglichen sind, ist sie in der Lage, den Verlag zu leiten und ihm programmatisch eine Linie zu geben, die dem Mythos Suhrkamp genauso gerecht wird wie den Anforderungen der Gegenwart?

Denkbar wäre ja, dass der entmachtete Verlagsleiter Günter Berg weiter die Verlagsgeschäfte, in Abstimmung mit Berkéwicz, hauptsächlich bestimmt – eine Frühstücksdirektorin und eine graue Eminenz also, und auch lernwillige und erfolgreiche Autodidaktinnen hat es schon viele gegeben. Schau’n wir mal, um es mit einem anderen mächtigen Frühstücksdirektor zu sagen. Fakt ist, dass Elke Heidenreich für den einzigen diesjährigen Suhrkamp-Bestseller gesorgt hat, Carlos Ruiz Zafóns „Der Schatten des Windes“. Und dass Suhrkamp bei einer jüngeren Generation, heißt sie nun Golf oder Kalle, schon lange nicht mehr die Strahlkraft von einst hat. GERRIT BARTELS