EINE EIGENSTÄNDIGE EUROPÄISCHE SICHERHEITSPOLITIK IST BEDROHLICH
: Mit der Nato die USA einhegen

Es hat sich eingebürgert, alles für erstrebenswert zu erklären, was den europäischen Integrationsprozess voranzutreiben verspricht. Das Bekenntnis zu diesem Prinzip hat parteiübergreifend einen fast religiösen Charakter angenommen. Widerspruch ist Häresie. Religion bedarf jedoch keiner analytischen Begründung, der Glaube reicht. Für Politik sollte das eigentlich nicht gelten. Dennoch verstärkt sich der Eindruck, dass inzwischen auch die Überzeugung nicht mehr erläutert werden muss, eine eigenständige europäische Sicherheitspolitik sei nützlich und vonnöten.

Nützlich für wen und vonnöten für was? Beteuerungen, militärische Strukturen der EU sollten selbstverständlich nicht mit der Nato konkurrieren, werden durch Wiederholung nicht glaubwürdiger. Apparate haben die Eigenschaft zu wachsen. Mittelfristig sind Doppelstrukturen deshalb vorhersehbar und unvermeidlich. Das muss zu einer weiteren Schwächung der Nato führen, die ohnehin von manchen Militärexperten totgesagt wird.

Wer Angriffskriege und eine hegemoniale Weltordnung ablehnt, kann darin keinen Anlass zur Genugtuung sehen. Es ist kein Zufall, dass die USA der Nato immer weniger Gewicht beimessen. Vor zwei Jahren hat die Militärallianz den Bündnisfall ausgerufen – was Washington seither nicht daran hinderte, sich Koalitionspartner jeweils nach Bedarf auszusuchen. Schlimm genug. Denn was wäre in einer konkreten Situation eigentlich wünschenswerter: ein UN-Mandat für die Nato oder eines für die USA als implementierender Führungsnation? Im einen Fall käme die stärkste Militärmacht wenigstens nicht umhin, Rücksicht auf lästige Wünsche der Bündnispartner zu nehmen.

Gewiss sind globale Verhältnisse erfreulich, in denen Mehrheiten entscheiden und in denen sich der Hegemon zwar engagiert, aber dennoch den Forderungen der Mehrheit beugt. Aber so sind gegenwärtig weder die Welt noch die USA beschaffen. Wenn es eine – bescheidene – Hoffnung gibt, Washington einhegen zu können, dann ist die Nato derzeit ohne Alternative. Eine eigenständige Sicherheitspolitik der EU erleichtert es den Vereinigten Staaten, das Bündnis achselzuckend zu ignorieren. Eine bedrohliche Perspektive. BETTINA GAUS