Das Erste-Sahne-Manuskript

Zum elften Mal auf der Buchmesse. Bericht eines endlich erfolgreichen Schriftstellers

Auf der Buchmesse geht es nur nach der äußeren Form. Nach elf Jahren habe ich es kapiert

Diesmal passt alles. In diesem Jahr muss mir der Durchbruch gelingen. Ich war 15 Minuten im Sonnenstudio. Ich habe mich genau 48 Stunden nicht rasiert, und meine grauen (!) Bartstoppeln sind exakt drei Millimeter lang. Ich trage diese Jeansjacke zu der Cargohose. Dazu ein weißes Hemd mit bulgarischen Applikationen und rote Puma-Latschen. Und ich habe endlich die passende Brille!

Auf der Buchmesse ist die Brille überhaupt das Allerwichtigste. Ich habe das lange nicht verstanden. Durch die Brille unterscheiden sich die Männer von den Knaben. Also: Ich trage diesmal eine Brille, die mir ein entfernter Verwandter aus Potsdam von Hawaii mitgebracht hat. Er hat an Eides statt erklärt, dass sie von echten Eingeborenen per Hand aus Pappelholz geschnitzt sei. Es sind winzige versaute Schnitzereien drauf. Man sieht sie nicht, man ahnt sie nur. So muss es sein. Dann hat es echte Klasse. Da sollen sie mal kommen mit ihren Drahtbiegearbeiten auf der Nase.

Dies ist meine elfte Buchmesse. Elfmal bin ich gescheitert. Nicht weil meine Manuskripte so lausig wären. Meine Manuskripte sind erste Sahne. Nur: Auf der Buchmesse geht es nur nach der äußeren Form. Elf Jahre hab ich gebraucht, um das zu kapieren. Kein Schwein will dein Manuskript sehen. Du musst „richtig“ aussehen. Interessant, verwegen, rätselhaft, sophisticated. Vor allem: Die Brille muss stimmen.

Ich werde auf dieser Buchmesse einschlagen wie ein literarischer Meteor. Auch, aber nicht nur wegen der Brille. Ich bin genau der Typ, nach dem sie dieses Jahr suchen. Noch nicht uralt, aber auch nicht tropfjung. Lebenserfahrung und kühle Distanz zu den Torheiten des Lebens. Alles mitgemacht, aber noch nicht die Spur versnobt. Alles gehabt und doch noch nicht satt! Die nassforschen, cool speichelnden „Entdeckungen“, die man von der Grundschule weggefangen hat, sind endgültig durch.

Genau wie diese ewig gelangweilten „Erfolgreichen“. Ich bin nicht erfolgreich. Nicht aus Unfähigkeit – aus Prinzip! Ich will gar nicht erfolgreich sein. Erfolg macht träge, macht stumpf. Erfolg löscht das Feuer im literarischen Unterleib. Ich werde funkeln, ich werde sie alle flambieren! Die ihre läppischen Beziehungen beplappernden jungen Polinnen ebenso wie die irischen Enddreißigerinnen, die sich über 400 Seiten lang nach irgendeinem Sumpfloch nahe Kilkenny zurücksehen. Ich werde all die zu Recht bereits verstorbenen oder demnächst mit großer Wahrscheinlichkeit dahinscheidenden, betulich faselnden Altdeutschen aus den Regalen wischen. Mit meinem Werk, meiner Novelle: „An den Ufern des Tejo – schaumgeboren“. Ein Titel, der Lektoren die Nüstern flattern lässt, wie dem Vorsteherhund, wenn er ein Wildschwein riecht: „An den Ufern des Tejo – schaumgeboren“.

Man wird mich bedrängen bei Rowohlt und Fischer, während Kunstmann und Eichborn voller Neid hinter den Stellwänden lauern. Auf die Brosamen, die da abfallen könnten, vom literarischen Tischleindeckdich: „Bitte lesen Sie – nur eine Zeile!“ Ein kleines Weilchen werde ich mich bitten lassen, einen gekühlten Absinth schlürfend. Und dann werde ich kurz meine Brille abnehmen, milde lächelnd die winzigen, meisterhaft geschnitzten Applikationen studieren. Kurz Zeit und Raum vergessend, um dann mit meiner souveränen, vom Likör geschmeidigen Stimme zu lesen zu beginnen: „An den Ufern des Tejo – schaumgeboren“. Kapitel eins: „Perlmuttintarsien im Blütenmuster“.

Übrigens, ich werde Tejo natürlich Tächo aussprechen und eine kleine, aber sehr wirksame Pause einlegen. Um dann die ersten Worte, die ersten Sätze erklingen zu lassen, wie das Intro eines wundersamen, in solcher Schlichtheit und Schönheit nie gehörten Liedes: „Doktor Frederico de Freitas schlug mit dem fein lackierten Fingernagel seiner rechten Hand beiläufig die Saiten der auf dem Bett liegenden Guitarra an. Ein seltsam ungereimter, fragil bröckelnder Ton sirrte durch den Raum. Für einen Moment interessierte den Dottore die dort auf dem Bett soeben Gebärende nicht mehr wirklich. ‚Musik ist doch der wahre Sinn meines Lebens‘, dachte es in ihm, und er schmunzelte scheu zur Hebamme hin.“

Schon hier wird atemlose Stille herrschen. Deshalb werde ich wieder eine kleine, effektvolle Pause einlegen. Auch um den Verlagsbossen Zeit zu geben, schon mal ihre teuren Füller zu zücken, um die Schecks mit den vielen, vielen Nullen auszustellen. ALBERT HEFELE