: Hiob Neururer hadert
Der VfL Bochum scheidet in der ersten Runde des Uefa-Pokals aus – ungeschlagen. Besonders bitter: Der alles entscheidende Ausgleichstreffer für Standard Lüttich fällt erst in der Nachspielzeit
AUS BOCHUM CHRISTOPH SCHURIAN
Vielleicht hatten Peter Neururer düstere Vorahnungen beschlichen, vielleicht hat er den Hitlerfilm „Der Untergang“ zu oft gesehen. Für den Fußballlehrer des VfL Bochum war das Rückspiel gegen Standard Lüttich jedenfalls schon vorher ein „Endspiel“, für das er sich „Gänsehautstimmung“ im Ruhrstadion wünschte. Und in den letzten zehn Minuten des ersten Bochumer Europapokalabends seit sieben Jahren trafen Neururers Vorhersagen allesamt ein.
Minutenlang versuchte ganz Fußballbochum, Ball und Team aus dem Strafraum zu brüllen. Doch die VfL-Spieler waren starr vor Angst, matt stemmten sie sich gegen die Hereingaben der Belgier – immerhin hatten sie die 1:0-Führung so in die Nachspielzeit gerettet. Gänsehautstimmung machte sich breit. Jeder merkte: kommt Lüttich zum Ausgleich, ist der Bochumer Europacup-Traum beendet.
Später nannten sie es tragisch, was eigentlich eher tollpatschig aussah: Bochums brasilianischer Jungverteidiger Edu, eingewechselt für den überragenden Flügelstürmer Tommy Bechmann, säbelte in der 92. Spielminute am Ball vorbei und landete auf dem eigenen Hosenboden. Die Kugel rollte zu Lüttichs Curbelo, der aus zwölf Metern ins lange Eck traf. Mit dem wertvollen Auswärtstor kam Lüttich weiter und Bochum verpasste die Gruppenphase mit garantierten vier Spielen und drei Millionen Euro Einnahmen: Zu einer richtigen Tragödie gehört die Fallhöhe, die sich zwischen Glück und Leid oder auch Reichtum und Armut ausdehnt. Und mehr ist kaum zu sagen zum ungeschlagenen Ausscheiden des VfL.
Auch Trainer Neururer erinnerte hinterher an den Gott beklagenden Hiob: Es müsse da oben einer sitzen, der den VfL bestrafen wolle: „Aber wir haben doch nichts verbrochen?“ Auch Torwart Rein van Duinhoven schloss sich der Verschwörungstheorie seines Trainers an: „Da sieht man, wie ungerecht der Fußball ist; bei uns ist jetzt eine Todesstimmung.“ Nur Bochums junger Linksverteidiger Philipp Bönig wollte bei der Weltverneinung nicht mitmachen: „Im Fußball gleicht sich alles aus“ – in der vergangenen Saison seien die engen Spiele oft für Bochum ausgegangen.
Das Bochumer Ausscheiden hat freilich mit Metaphysik wenig zu tun: Wie schon in den letzten Bundesligaspielen fehlt es Bochum vorne an Torgefahr und hinten an Ordnung. Der Auswärts starke Neunte der belgischen Liga hatte deshalb die besseren Chancen. Zwar dominierte das VfL-Dreieck Marcel Maltritz, Darius Wosz und Thomas Zdebel im Zentralfeld – Neururer sprach von „160 Spielminuten“, in denen seine Mannschaft besser gewesen wäre. Doch die errackerte Kontrolle rund um den Mittelkreis brachte kaum Torgefahr.
Stattdessen setzt der VfL auf die Gefahr von ruhenden Bällen. Bei jedem Freistoß, jeder Ecke beeilen sich die langen VfL-Spieler in des Gegners Strafraum. Und auch am Donnerstag führte diese beschränkte Taktik zum Erfolg: Maltritz köpfte noch vor dem Pausenpfiff einen Freistoß von Wosz ins Tor.
Was dem VfL noch in der letzten Spielzeit die Teilnahme am internationalen Wettbewerb sicherte, langt auf Dauer aber nicht. Schlimmer: Weil jetzt vorne Neuzugang Vratislav Lokvenc wartet, werden nun rollende Bälle wie Standards nach vorne geschlagen: Der baumlange Tscheche gab auch gegen Lüttich den einsamen Riesen Rübezahl. Im Halbfeld kam er an die hohen Bälle, doch seine Mitspieler konnten nichts mit seinen unpräzisen Ablagen anfangen. Statt den behäbigen tschechischen Mittelstürmer aus dem Spiel zu nehmen, rief Neururer mit Wosz und Bechmann die beiden herausragenden Bochumer Spieler vorzeitig vom Platz. Folglich wurden die letzten Minuten zur düsteren Abwehrschlacht, einem Endspiel.
Für die Belgier war die Auswechslung von Kapitän Wosz der Startschuss: Die Fans stimmten eine kämpferische Dauerparole an, untermalten das mit ein paar Kanonenschlägen und die Mannschaft um den wirbelnden Ex-Dortmunder Sergio Conceicao drängte auf den Ausgleich. „Meine Mannschaft hat das Tor gesucht und gefunden“, freute sich deshalb Lüttichs Trainer Dominique D’Onofrio über den Nachspieltreffer, das „Glücklichste, was einer Mannschaft passieren kann“.
Wie groß das Unglück auf der Bochumer Seite ist nach dem knappen Ausscheiden aus beiden Pokalwettbewerben, wird erst am Sonntagabend feststehen. Dann muss der VfL in die Arena Auf Schalke – und wenigstens da schmunzelte Neururer doch ein wenig: Bochum hat dort noch nie verloren.
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