„Pop ist nicht national!“

Der Grünenpolitiker Rezzo Schlauch wehrt sich gegen die Forderung, etwa von seiner zukünftigen Parteivorsitzenden Claudia Roth, nach einer Radio-Quote für deutsche Popmusik. Ein offener Brief

VON REZZO SCHLAUCH

Liebe „Musiker in eigener Sache“!

Es fällt mir nicht leicht, geschätzten und zum Teil befreundeten Musikern zu widersprechen, aber mit Verlaub, die Quotenidee ist engstirnig. Die vielen graumelierten Unterzeichner eures Aufrufs überraschen mich weniger als die junge Garde, die hier den Schutz der Bürokraten sucht. Der richtige Pass als gesetzlich garantierte Zugangsberechtigung für den Äther? Das spontane Identitätstreiben der Popkultur vom Staat reguliert? No Thanks!

Wisst Ihr, was ich mein Leben lang geliebt habe an Blues-, Rock- und Popmusik? Sie ist weltoffen und anarchisch, hat die verschiedensten Wurzeln und kommuniziert über Staats- und Kulturgrenzen hinweg. Die Globalisierung mag uns ja einige Probleme bereiten, aber gerade der ungeregelte, untergründige und vielfältige Austausch der populären Musikkultur gehört doch wohl zum Besten an ihr.

Provinzielle Lobbyisten

Habt Ihr alle schon vergessen, wie viele verbohrte Hirne sie hierzulande geöffnet hat? Euch stört die „anglo-amerikanische Dominanz“, wo doch die angeblich nationale deutsche Poptradition, Euer „geistiges Erbe“, fast vollständig auf anglo- und vor allem afroamerikanische Wurzeln zurückgeht. Unsere deutschen Rapper wollen nicht mehr sehen, dass Hip-Hop sich ganz ohne Quoten über Kontinente und Vorstädte verbreitet hat und zum Sound der Ausgegrenzten geworden ist. Und die international so gefragte elektronische Musik unserer Landsleute hat sich doch wohl an vielerlei Orten entwickelt, sei das nun Düsseldorf, Detroit, London oder Tokio. Ich empfehle allen Unterzeichnern des Aufrufs den Blick in den eigenen Plattenschrank: Na, Quote eingehalten?

Popmusik ist kein national gewachsenes Kulturgut. Auch meine Partei hat das früher gewusst. Jetzt entwickeln sich ehemalige Anarcho-Band-Managerinnen und grüne Friedenskämpferinnen zu nationalen Popbeauftragten.

Ich dachte immer, Pop sollte spontan und freiheitsliebend sein. Nun werden gestandene Rocker zu provinziellen Ständelobbyisten und wollen sie zur geschützten Ware machen. Ja bin ich denn hier bei der Handwerkskammer oder beim Bauernverband? Es wird wohl Zeit für eine deutsche Wein- und Bierquote, schließlich ist das doch viel eher „deutsches Kulturgut“ als der fröhliche Bastard der Popkultur.

Don’t get me wrong: Ich liebe die Fantastischen Vier, 2raumwohnung und viele mehr, doch brauchen die den Staat? Nie zuvor war deutsche Musik auch ohne Quote so erfolgreich, einfach weil sie so viel besser geworden ist. Das zeigt sich übrigens auch auch in meinem Plattenschrank. Wenn einige der Unterzeichner nicht mehr so präsent sind wie früher, liegt das vielleicht an der Kurzlebigkeit der Popkultur. Keiner hat da Anspruch auf staatlich garantierte Aufmerksamkeit.

Beschissenes Formatradio

Mit einem habt Ihr Recht: Formatradio ist monoton und beschissen. Es wird auch bei den Öffentlich-Rechtlichen mit wenigen Ausnahmen (z. B. Radio Eins) zu wenig Neues und Vielfältiges gespielt. Dort wünsche auch ich als alter Musikfan mir mehr französischen Rap, jamaikanischen Reggae, kubanische Songs, Salsa, Afrobeat und ja, auch mehr gute Musik aus Deutschland. Dafür ist ein Deutschquotengesetz aber der falsche Weg. Man kann an den kulturellen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erinnern und dahingehend politischen und öffentlichen Druck entwickeln. Solange sich das an Vielfalt und Talentförderung ausrichtet statt an nationalen Grenzen, wäre auch ich zu vielen Schandtaten bereit. Ansonsten bleibt schlechte Musik für mich ein Umschaltimpuls, sei sie nun von hier oder von anderswo.

Rezzo Schlauch, 56, ist seit 1994 Mitglied des Bundestags. Zuvor war er zwei Jahre Vorsitzender der Grünen Fraktion. Seit Oktober 2002 arbeitet er als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit.