Der Dokumentarfilm „African Blues“ erzählt von Boubacar Traoré, dem Mann, der den Twist in Mali eingeführt hat
: Der Soundtrack der Unabhängigkeit

Boubacar Traoré erzählt nichts aus seinem Leben, er singt. Dafür berichten andere: Ein junger Mann in Mali erzählt gleich zu Beginn des Films, wie Traoré zu seinem Spitznamen kam: „Karkar“ bedeutet „durchbrechen“ in Bambara, der am weitesten verbreiteten Sprache Malis. Traoré wurde so genannt, weil er als junger Fußballspieler hervorragend dribbeln konnte. Eine Beinverletzung zwang ihn, früh aufzuhören und stattdessen Schneider zu werden. Zur Musik kam Traoré erst mit 20.

Jacques Sarasins Dokumentarfilm African Blues – Je chanterai pour toi wird getragen von den melancholischen Songs Traorés. Inspiriert durch die Biographie Mali Blues von Lieve Joris folgt Sarasins Team dem „Johnny Holliday von Kayes“ an die Orte seiner Vergangenheit. Doch nicht nur die Stationen, auch die Fortbewegungsmittel der Reise sind jeweils einen live gespielten Song wert. Belustigt lauschen die anderen Fahrgäste im Zug, wenn der mitreisende Karkar mit seiner Gitarre einen agitatorischen Song aus den 60ern zum Besten gibt.

Karkars Blues wurde zum Soundtrack der Unabhängigkeit Malis, die 1960 mit der Ausrufung einer von Frankreich unabhängigen Republik begann und Modibo Keita zum ersten Staats- und Regierungschef machte. Im Radio, berichtet einer seiner Freunde, waren schon morgens Lieder von ihm zu hören, in denen er die Bevölkerung aufforderte, hart für den Aufbau des Landes zu arbeiten. Wie stark sich das junge Mali am Vorbild der Sowjetunion orientierte, zeigen eingestreute Archivfilme und Fotos, die Malik Sidibé, der bekannteste Fotograf Malis, zur Verfügung gestellt hat.

Aber auch die Musikszene des Landes hat Traoré viel zu verdanken. Er war es, der in den Grins, einer Mischung aus Kneipe und Club, die anderen jungen Leute mit seiner Begeisterung für US-amerikanischen Rock ‘n‘ Roll ansteckte, und – obwohl er sich selbst immer mit der akustischen Gitarre begleitet – die elektrische Gitarre populär machte. In den örtlichen Kinos debattierte die Jugend Malis, während dort Filme wie Rock Around the Clock liefen. „Er hat den Twist in die Musik Malis eingeführt“, erzählt einer seiner Wegbegleiter.

Enttäuscht davon, dass die Unabhängigkeit Mali nicht zum Paradies auf Erden hat werden lassen, haben sich viele Leute, unter ihnen auch enge Freunde, wenige Jahre später von Traoré abgewandt. Die Kamera folgt dem inzwischen über 60-Jährigen auch dorthin, wo er jahrelang als Marktverkäufer versucht hat, seine Familie über Wasser zu halten. Auf dem Friedhof, auf dem seine große Liebe Pierrette begraben liegt, spielt Traoré einen der traurigen Songs, die er ihr gewidmet hat.

Die Bevölkerung Malis, für die er Zeit seines Lebens gesungen hat, vor allem die auf dem Dorf, scheint sich heute für seine Lieder nicht besonders zu interessieren. Unfreiwillig ironisch wirkt eine Szene, in der Frauen mühselig und nach althergebrachter Methode Getreide stampfen, während Traoré auf einem Felsen sitzt und nach nicht ganz so althergebrachter Methode die Tapferkeit und den Fleiß der Kinder Malis besingt.

In Mali hielt man den Mann schon für tot, da entdeckte ihn 1990 ein englischer Produzent in Paris, wo er als Bauarbeiter seinen Lebensunterhalt verdiente: Traoré war bereits 50, als er mit Mariama sein erstes Album einspielen konnte. Nach seinem letzten ist der Film im Original benannt. Sarasins „Je chanterai pour toi“ lässt vieles offen. Viel zu wenig erfährt man etwa über die Entwicklung Malis zu einer Nation, die heute als eine der stabilsten Demokratien Afrikas gilt, wenngleich sie auch zu den ärmsten zählt. Aber vielleicht hätte das diesen schönen Musikfilm auch völlig aus dem Takt gebracht.

Jana Babendererde

täglich, 20.30 Uhr, 30.+31.10., 17.15 Uhr, 3001 Kino