kommentar: karstadt-krise als Chance
: Hattingens Karstadt-Kaufhaus soll schließen – und das ist gut so

Hattingen ist sicherlich die schönste Stadt an der Ruhr. Die Zierde der Stadt ist ein nahezu intakter Altstadtkern mit Fachwerkhäusern, idyllischen Kirchplätzen und lebendiger Gastronomie – seit Jahren eine Attraktion für Naherholungstouristen aus dem ganzen Revier. Dabei drohte Mitte der 1960er der Abriß der „Bruchbuden“ in der Altstadt – gemeint waren die damals sanierungsbedürftigen Fachwerkhäuser. Es ist nicht zuletzt dem damaligen Stadtdirektor Hans-Jürgen Augstein, einem Bruder des ehemaligen Spiegel-Herausgebers, zu verdanken, dass die Altstadt nicht unter die Abrißbirne geriet. Denn wenige Kilometer ruhrabwärts ist zu besichtigen, was Hattingen erspart blieb: Dort wurde die alte Stadt Steele in Beton gegossen. Natürlich mit einem Karstadt-Kaufhaus im Zentrum. Dies, obwohl auch in Steele rund tausend Fachwerkhäuser die Luftangriffe der Alliierten überstanden hatten. Sie wurden später abgerissen. Steele war in den 1970er Jahren eines der größten „Sanierungsgebiete“ Deutschlands. Stadtplaner und Soziologen nennen Fälle wie diesen seit langem die „zweite Zerstörung“ unserer Städte.

Aber wer mit der S-Bahn von Steele die zehn Minuten durchs heute wieder grüne Ruhrtal nach Hattingen fährt, kann die Schönheit der Hattinger Altstadt nicht auf den ersten Blick erkennen. Denn der alte Kern ist vom Bahnhof aus durch einen Betonriegel verdeckt – die einzige wirklich große Hattinger Bausünde. Der sichthemmende Klotz ist das Karstadt-Kaufhaus, für das sich jetzt der SPD-Ortsverein Hattingen-Mitte engagieren will. Wie man für das ehemalige Thyssen-Stahlwerk Henrichshütte in den 80er Jahren auf die Straße gegangen sei, wolle man sich auch heute für den Erhalt von Karstadt einsetzen, heißt es. Der Brief an den Minsterpräsidenten Steinbrück ist schon geschrieben.

In Düsseldorf sollte man das Schreiben der Hattinger Genossen ganz schnell im Papierkorb verschwinden lassen. Sozialdemokraten im Ruhrgebiet hatten noch nie Sinn fürs Ästhetische. Denn eine Schließung des Hattinger Karstadt-Kaufhauses böte die Chance, die Altstadt wieder sichtbar werden zu lassen. In Neubauten auf der Fläche, auf der jetzt die klobige Kaufhalle steht, könnte die filigrane Fachwerk- und Schiefertradition des Niederbergischen Landes wieder aufgegriffen werden. Damit könnten kleine Geschäfte etabliert werden, die das Vergnügen des Altstadtbummels in Hattingen bis zum S-Bahnhof verlängern könnten, der bis jetzt durch die Karstadt-Barriere vom mittelalterlichen Kern getrennt ist. Die Karstadt-Krise ist die Chance für Hattingen, wie auch schon das Ende der Henrichshütte nicht den damals befürchteten Niedergang der Stadt gebracht hat, sondern eine Aufwertung als Wohnort für fachwerkliebende Ruhrgebietler.

“Hattingen für Karstadt – Karstadt für Hattingen“, so lautet das Motto einer Informationsveranstaltung, zu der die SPD Hattingen für nächste Woche Donnerstag einlädt. Vielleicht finden sich bis dahin Architekten und Stadtplaner, die schon einmal einem lauen Sommerabend beim Bier in der Hattinger Altstadt genossen haben, nachdem sie kopfschüttelnd den Weg vom Bahnhof am Karstadt-Klotz vorbei genommen haben. Pläne sind jetzt gefragt – Pläne, die auch den Betonköpfen in Hattingen zeigen, daß die Zukunft dieser Stadt ohne Karstadt eine bessere ist.

LUDGER FITTKAU