Der totale Goebbels

Kennen Sie „Joseph Goebbels“? Wer über den Herrn Minister noch nicht im Bilde ist, der kann das ab heute in drei Teilen nachholen (21.45 Uhr)

VON JAN FREITAG

Wie entspannt man auch sein mag, wie geschützt durch die vergleichsweise wohlige Gegenwart, durch ein angenehmes Ambiente und nette Sitznachbarn – es hilft nichts: Wer diesen Mann sieht, seine Gesten, seine Augen, seine dürren Lippen, kriegt es mit der Angst zu tun. Unweigerlich, unterbewusst, hilflos. Und hier liefert er das volle Repertoire seiner furchtbaren Demagogie. Der kleine Dämon mit dem gänzlich unarischen Klumpfuß hetzt und fuchtelt und blickt wie gewohnt eiskalt ins Volk. Gleich zu Beginn, im Vorspann eines notwendigen, vielleicht wirklich überfälligen Filmprojekts – das derzeit dennoch irgendwie zur Unzeit läuft. „Joseph Goebbels“ heißt es und ist eine dreiteilige Dokumentation von Andrea Morgenthaler. Sie läuft ab heute in der ARD und wirft die Frage auf: warum ausgerechnet jetzt?

Es scheint die Zeit der persönlichen Aufbereitung nationalsozialistischer Topkarrieren zu sein. Der Frühjahrshype um Stauffenberg und andere zu Freiheitskämpfern hochgejazzte konservative Militärs oder Monarchisten ist gerade verklungen, da gibt Bruno Ganz in „Der Untergang“ auf der Kinoleinwand für Bernd Eichinger den finalen Hitler im Führerbunker.

Kurz darauf spielte uns Robert Carlyle (unter anderem bekannt als der durchgeknallte Begbie aus „Trainspotting“) auf dem Big-Brother-Sender RTL2 im deutsch-amerikanischen Zweiteiler „Aufstieg des Bösen“ den frühen Hitler bis zur Machtergreifung. Demnächst lässt Lutz Hachmeister Goebbels’ Tagebücher von Udo Samel in Spielfilmlänge verlesen („Das Goebbels-Experiment“). Und nun also „Joseph Goebbels“, schlicht im Titel, eindrucksvoll die alten Bilder, mit der längst gewohnten palavernden Flankierung durch Zeugen der Zeit.

Das Ganze sei „formale Stringenz mit klassischer Dokutechnik“ ohne nachgespielte Szenen, lobt der verantwortliche SWR-Redakteur Thomas Fischer die nüchtern aufbereiteten Filme und hat in der Sache absolut Recht. Denn die je halbstündigen Episoden „Der Scharfmacher“ (4. Oktober), „Der Propagandachef“ (6. 10.) und „Der Einpeitscher“ (11. 10., alle 21.45 Uhr) übertreffen die Qualität Knopp’scher Beschäftigung mit dem braunen Führungsstab.

Nicht wegen der Informationsdichte, sondern wegen der Nähe, die Andrea Morgenthaler zulässt. „Ich glaube an die Banalität des Bösen“, sagt sie über ihr Werk und meint das – im Gegensatz zu ZDF-Historiker Guido Knopp – nicht als formale Entschuldigungsgeste an die verführten Deutschen. Produzent Kurt Rittig betont mit maliziösem Blick auf den erfolgreichen Konkurrenten: „Wir haben unter Weglassung aller dramaturgischen Mätzchen gearbeitet.“

Ansonsten aber blieb der Propagandaminister filmisch bislang eher unterbelichtet. Vielleicht konnte ihn deshalb sogar ein Comedian wie Olli Dittrich im ARD-Film „Stauffenberg“ verkörpern; Ditsche musste sich nicht an allzu vielen Vorgängern messen lassen und machte seine Sache überraschend ordentlich. Goebbels sei „der Letzte aus dem inneren Kreis, der behandelt wird“, beteuert Kurt Rittig. Das ist zwar nur zum Teil richtig, denn das Private am „Bösen“ blieb bis zu diesem Herbst – abgesehen von den Arbeiten Hans-Jürgen Syberbergs vor bald 30 Jahren – zumindest filmisch eigentlich flächendeckend außen vor. Und doch: So nah am Mann an Hitlers Seite, der sein Idol erst im belagerten Führerbunker endgültig verließ, war in der Tat niemand vor Morgenthaler.

Die Geschichte vom katholisch erzogenen Provinzrheinländer, vom kleinbürgerlichen Germanistikstudenten und verkannten Poeten, vom profilneurotischen Bankangestellten und geselligen Machtpolitiker mit fünf Kindern – sie wird von Zeit- und Weggenossen, Altnazis wie Gegnern erzählt. Und man sieht ihn danach ein wenig klarer, diesen wohl erfolgreichsten aller Propagandisten.