Mann mit den goldenen Händen

Werner Knevels berührt Frauen mit Pfauenfedern, Handschuhen oder der nackten Hand und lässt sich von den Kundinnen für seine Dienste bezahlen

Eine gute Feder darf nicht hart sein und kratzen, sie soll zum Träumen anregen„Ich möchte gestreichelt werden und zahle dafür – warum auch nicht?!“

AUS WUPPERTAL JULIA NIEWÖHNER

Regenschwaden über Wuppertal. In der Elberfelder Innenstadt treten Passanten einander auf die Füße, Regenschirme verhaken sich, Ladentüren werden rücksichtslos zugeschlagen. Und irgendwie beginnt hier auch der Job von Werner Knevels. Der 44-Jährige mit seinem dunkelblonden Pferdeschwanz und dem breiten Gesicht hat eine Marktlücke entdeckt: Er streichelt. Mit Federn, mit Handschuhen, mit der nackten Hand. Dreißig Minuten dauert eine Sitzung und kostet 25 Euro: „Mein Ziel ist es, Menschen dazu zu bringen, zu entspannen und sich der Berührung durch Hände, Federn, Fell oder Borsten zu überlassen. Ich biete keine Massage. Die Menschen, die zu mir kommen, wollen keine Muskelverspannungen auflösen, sie wollen zärtlich berührt werden und gerade Zärtlichkeit ist etwas, was viele auch in Paarbeziehungen kolossal vermissen“, sagt Knevels und nennt sich unbescheiden den „Mann mit den goldenen Händen“.

Der Wuppertaler „Streichelservice“ ist bislang einzigartig in Deutschland. Angefangen hat alles vor zwei Jahren: „Im Fernsehen habe ich einen Masseur aus USA gesehen, der allein dadurch, dass er streichelte, Riesenerfolge erzielen konnte: Seine Patienten wurden ausgeglichener, zufriedener und konnten sich auch im Alltag besser entspannen“, erzählt Knevels mit leuchtenden Augen in der kleinen Küche seiner Praxis. Der Blick aus dem Fenster fällt auf einen Hinterhof, auf dem Tisch stehen Aschenbecher, eine Dose mit Gummibärchen und Lakritz, eine Kanne Kräutertee.

„Es war unglaublich schwer, geeignete Räume zu finden“, erinnert sich der ganz in Weiß gekleidete gelernte Werbetechniker, der das Streicheln erst mal auf den Feierabend verlegt hat. „Wenn die Vermieter erfahren haben, dass ich die Wohnung für einen Streichelservice brauche, haben sie abgeblockt. Erst nach vier Wochen bekam ich diese Räume in der Innenstadt.“ Der nach eigener Aussage im Wellnessbereich angesiedelte Dienstleister kann die Vorurteile nicht verstehen: „Ich biete keinen Sex, es geht allein um die Berührung von Mensch zu Mensch“. Und Werner Knevels streichelt ausschließlich Frauen. „Ich hätte ein Problem damit, zärtlich mit Männern umzugehen“, gibt er zu und zündet sich eine weitere Zigarette an.

Von Freunden und Arbeitskollegen bekommt er viel Zuspruch – auch die 14-jährige Tochter findet die Geschäftsidee des Vaters „echt super“. Und die vermarktet Knevels recht professionell: „Ich habe schon Bonushefte drucken lassen, nach neun Besuchen gibt‘s den zehnten umsonst“. Und für die gestresste Schwiegermutter, die Freundinnen, Ehefrauen, Tanten, Omas und Arbeitskolleginnen bietet der Kuschelexperte für die Weihnachtszeit Geschenkgutscheine an für eine 30 minütige Streicheleinheit.

Dass viele Menschen zunächst zaudern, kann Werner Knevels “irgendwo“ schon verstehen, er versucht die Vorurteile durch Offenheit zu überwinden: „Wer möchte, kann Freund oder Freundin mitbringen, die im Wartezimmer bleiben können oder auch bei der Behandlung zuschauen“. Ob und wie viel Kleidung eine Kundin anbehalten möchte, bleibt ihr überlassen. “Manche halten mir nur ihren nackten Arm hin, andere ziehen sich komplett aus. Für mich ist das alles völlig in Ordnung“, so Werner Knevels, die Frauen sollen sich halt wohl fühlen.

Jede seiner Sitzungen beginnt mit einem kurzen Gespräch, bei einer Tasse Kräuter-Tee sollen dann „Berührungsängste“ und Hemmungen abgebaut werden. „Die Kundin soll mir erzählen, was sie möchte, denn streicheln ist nicht gleich streicheln: Es ist etwas völlig anderes, ob ich einen Menschen mit der puren Hand berühre oder mit einem edlen Stoff, mit Handschuhen oder mit Federn“, glaubt Knevels und zeigt dabei auf einen Steinkrug, aus dem ein Bund schwarzer Pfauenfedern ragt. Auf einem Holztisch liegen seine handgemachten Fächer aus Pfauenfedern.

Knevels ist mittlerweile ein Federnexperte geworden: „Die Federn müssen der Haut schmeicheln und sich einfach wunderbar anfühlen, eine gute Feder darf nicht hart sein und kratzen, sie muss zum Träumen anregen“. Solche Federn zu bekommen, ist indes nicht ganz leicht. Wer etwa in Erotikshops danach sucht, wird schnell enttäuscht. Werner Knevels hat seine supersoften Federn schließlich im Internet gefunden und bei einem Lieferanten per Mail bestellt. Und auch die Federpflege bedarf einer besonderen Beachtung: Die Pfauenfedern müssen dazu vorsichtig unter Wasserdampf gehalten werden.

Werner Knevels‘ ganzer Stolz sind seine insgesamt 54 handgenähten Handschuhe, die Oberseite ist aus Stoff, die Unterseite besteht jeweils aus Sisal oder Fell, bei Allergikerinnen setzt Knevels auf Exemplare aus Kunstfell. Und Kundinnen die es weniger kuschelweich mögen, haben die Wahl zwischen einigen Bürsten mit unterschiedlicher Borstenqualität.

In Knevels Behandlungszimmer verbergen orangefarbene Tücher die Decken und Wände, nur gedämpftes Licht erreicht die Raummitte. Über sein orientalisch gehaltenes “Märchenzimmer“ ist Werner Knevels besonders froh: „Es kommt mir wie der Übergang in eine andere Welt vor“, meint er. Braune Teppiche verschlucken jeden Schritt, dazu tönt Meeresrauschen oder Vogelgezwitscher aus dem Kassettenrekorder zur professionellen Zärtlichkeiten. Die Tonaufnahmen hat er selbst gemacht, auch den Behandlungstisch aus Kiefernholz hat Knevels eigenhändig gebaut. Früher habe er viel mit Holz gearbeitet und Musik in einer Band gemacht, erzählt er. Mit dem Streichelservice habe er nun endlich einen Weg gefunden, die Dinge, die ihm wichtig sind, miteinander zu verbinden. Während der Behandlung achtet er darauf, dass sein Rücken durchgedrückt und gerade ist: „Auch mir muss es bei der Sitzung gut gehen“.

Werner Knevels‘ Kundinnen sind Frauen im Alter zwischen 19 und 40 Jahren. Es kommt die Abiturientin im Prüfungsstress genauso wie die alleinstehende Berufstätige, die sich nach Büroschluss noch etwas Gutes tun will. Wie Angela B. (Name geändert). Die 38-jährige Geschäftsfrau im Hosenanzug ist seit vier Jahren geschieden. Obwohl sie viele Freunde hat, vermisst sie Zärtlichkeit und die ein oder andere liebevolle Berührungen. „Ich kann doch meine Freunde nicht fragen, ob sie mich mal in den Arm nehmen, das wäre mir peinlich“, schüttelt sie den Kopf und wühlt in der Dose auf dem Küchentisch nach ein paar Gummibärchen. „Früher bin ich auch ohne Verspannung zur Massage gegangen, einfach nur, weil ich berührt werden wollte. Jetzt war ich schon zweimal hier und fühle mich nach einer Sitzung wie in einer anderen Welt – es tut einfach wahnsinnig gut, gestreichelt zu werden.“ Dass sie für diese Gesten der Menschlichkeit auch noch bezahlen muss, stört sie nicht. „Wieso sollte ich damit ein Problem haben? Männer gehen ins Bordell, um Sex zu bekommen. Ich möchte gestreichelt werden und zahle dafür, warum nicht?!“, meint sie.

Dass mehr als Streicheln nicht drin ist, weiß sie wie alle anderen Kundinnen. Aber Knevels freundliches Lächeln, ein Händedruck zum Abschied und die Erinnerung an Pfauenfächer lässt sie entspannter in den Feierabend gehen. Und es bleibt ihr die Freude auf die nächsten 30 Minuten Zärtlichkeit nach einem kühlen regnerischen Arbeitstag in Wuppertal.

Infos: www.streichelservice.de