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Das Herz, ein Tier

Glühen, ihr jungen Autorinnen und Autoren, das ist doch schon mal was: das Wochenende der jungen Dramatiker an den Münchner Kammerspielen

VON SABINE LEUCHT

Schon wieder ein Fisch; ein Fisch wie du und ich: Klappt das Maul auf und zu – und nichts Gescheites kommt dabei heraus. Was tun sie da eigentlich, die Fische? Trinken sie den Fluss? Was tun wir da eigentlich, du und ich? Atmen wir? Sprechen wir? Und wo liegt der Unterschied zwischen beidem?

Es gibt keinen, behauptet Breda in Enda Walshs Stück „New Electric Ballroom“, einem Auftragswerk für die Münchner Kammerspiele, mit dessen Uraufführung am Donnerstag der Paukenschlag für die neue Theatersaison fiel. Es folgte ein wahrer Trommelwirbel: Das „Wochenende der jungen Dramatiker“ mit sechs mehr oder weniger aninszenierten Stücken, gefolgt von der Übernahme von Albert Ostermaiers „Radio Noir“ aus Hamburg und von Joanna Laurens’ „Fünf Goldringen“, die im Sommer bereits in Salzburg Premiere hatten. Gut 18 Stunden Theater, Lesungen und Gespräche an einem langen Wochenende – die ultimative Gegenveranstaltung zum ausklingenden Oktoberfest, die klar stellte: „Jetzt ist Anfang und Beginn.“ Tatatata! Und Tusch! Das war ein Coup, der unbedingt wiederholt werden sollte – so oft wie möglich!

Und doch war ja leider der Fisch das Tier der Stunde. Und Fische sind bekanntlich stumm. Wie man das mit recht vielen Worten thematisiert, das führten Autoren zwischen 23 und 26 Jahren in München vor. Von der aufgekratzten Zweisamkeits-Stummheit in John Birkes „Pas de Deux“ über die buchstäbliche Stummheit des Waldes angesichts von Vergewaltigung, Mord und Werwolf-Geheule (Maja Dasguptas „Abend in Cape Cod“) bis zum staunend aufgerissenen Maul des japanischen Zierkarpfen, der von der Hand eines herzlosen Vaters gemeuchelt wird („Stadt, Land, Fisch“). Ja überhaupt: die herzlosen Väter – und überhaupt: das Herz.

Die einen gibt es zuhauf in der neuen Dramatik. Nimmt man denn die von der Kammerspiel-Dramaturgie getroffene Auswahl als halbwegs repräsentativ. Und das Herz? Ist ein kleines, verwundetes Tier, angeschossen, um Gnade winselnd oder hinter einem Wust von Worten in Deckung gehend. Es sollte, weil es in fader Einhelligkeit überall um private Konflikte geht, eigentlich die Hauptrolle spielen. Aber wie die anderen großen Dinge, die die schreibenden Twens zu bewegen scheinen, wird es meist nur von fern betrachtet, aus der Distanz: „Ich werde ein Gefühl haben, irgendeins“, heißt es bei Birke. Und Anja Hilling misstraut ihrem „jungen, idiotischen Herz“ schon im Titel ihres Stücks, welches immerhin zeigt, dass die Jugend sprachlich auf Zack ist. Hilling hat mit ihren Short Cuts um einen verhinderten Selbstmord literarische Hochseilartistik aufs Papier gebracht – die man aber nicht unbedingt auf der Bühne sehen muss. Ebenso wenig wie Paul Brodowsys störrisch anmutendes „Stadt, Land, Fisch“, dessen Kargheit zunächst wohl tut, dann aber auch wieder nur wie eine Masche wirkt. Gehäkelt aus einem bisschen Kafka, Kroetz und dem, was sich der Absolvent eines Creative-Writing-Studiums unter Landluft und Abgestumpftheit vorstellt.

Interessanter sind die beiden englischsprachigen Stücke. „Bridges and Harmonies“ des in Tel Aviv geborenen Oren Lavie zeigt vier Vereinzelte, die sich vorübergehend zu zwei Paaren zusammentun. Klingt nur allzu bekannt, macht aber durch die Verschrobenheit der Charaktere Lust auf mehr. Auch Lucy Prebbles schickt in „Zuckersyndrom“ Einsame und Gezeichnete in den Ring, die zwischen Chatroom und Bulimie, Dirty Talking und Pilates heftig vor sich hin glühen. Und Glühen, das ist doch schon mal was!

Was dem Wochenende allerdings fehlt, sind Visionen – und den meisten Figuren fehlt ein Geheimnis. Das Mädchen Amy scheint eins zu haben. Immer wenn es im Wald ist und wie ein Tier „versucht, den Fluss zu trinken“, sterben Männer. Doch das Überraschendste an Maja Dasguptas Well-Made-(Rotkäppchen-)Play ist, dass man an keiner Stelle wirklich überrascht ist. Oder berührt. Der Fluss schluckt am Ende das Mädchen, und die Fische werden das schon in Ordnung finden. Sie sind ja die Freunde des Schweigens, das manchmal der halbe Tod ist.

In einem Aquarium ganz oben in jenem Bunker, den Claudia Rohner auf die Bühne des Schauspielhauses gebaut hat, trifft man die Fische wieder. Feucht schimmern die schwarzen Wände. Gut möglich also, dass Stephan Kimmigs Inszenierung von „New Electric Ballroom“ unter Wasser stattfindet. Die drei Schwestern jedenfalls, die in ihm hausen, gehen nicht mehr hinaus. Die beiden Älteren haben das Leben ein einziges Mal geschnuppert. 40 Jahre ist das jetzt her. Im „New Electric Ballroom“ hat der Sänger Roller Royle die eine mit der anderen betrogen, und es hat nie aufgehört, wehzutun. Die grotesken Rituale zur Abwehr und Vergegenwärtigung dieses Urschmerzes haben in der grandios besetzten Inszenierung von Stephan Kimmig ganz und gar nichts Jämmerliches.

Barbara Nüsses Clara und Hildegard Schmahls Breda haben in diesen einen unglücklichen Moment so viel Gefühl investiert, dass es für drei ganze Leben reicht. Denn die junge Ada (Annette Paulman) zehrt sogar noch mit davon. Alles ist in dem neuen Stück von Enda Walsh („Disco Pigs“) enthalten: das Geheimnis, das glühende, blühende Leben (wenn auch der absonderlichen Art) – und die ganz große Szene, in der der Fischverkäufer(!) Patsy (Hans Kremer) mit einem Gartenschlauch zur singenden Ikone umgespritzt wird. Alles ist da, sogar die Fische.

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