Kuscheln und Therapien

„Papa trinkt Bier, Mama hat’s schwer“: Gunter Gabriel ist das einzige Rolemodel für aufrechte Prolls im Unterhaltungsgeschäft. Jetzt ist er mit den Songs seines Freundes Johnny Cash zu Gast in Berlin

Die Unsicherheit in eigener Sache macht ihn wahnsinnig anziehend

von JAN FEDDERSEN

Schmeichelt es ihm eigentlich, dass Frauen vor allem seinen Song „Komm unter meine Decke“ erinnern? Und erzählt man ihnen, dass man gleich Gunter Gabriel treffen werde, der ebendiesen zarten Appell gesungen hat, dann schimmern deren Augen ein wenig mehr als gewöhnlich. Er sagt zunächst gar nichts und äußert nur, wie im Laufe der Verabredung noch weitere zwei, drei Mal, dass er „ja überhaupt nicht gut aussieht“. Aber dann fügt er an: „Das freut mich.“

Eigentlich soll er über seine Tournee sprechen, über Johnny Cash, über sein Gastspiel in Berlin, Sonntag bei den Wühlmäusen, über seine Besuche in Tennessee und über das Leben als Countrysänger. „Ist jedenfalls schön, wieder on tour zu sein“, sagt er. Hier und da ausverkaufte Häuser, viele Leute im Publikum, die ihm Wertschätzung entgegenbringen, die Männer in erster Linie, weil er immer noch der Mann ist, der in den frühen Siebzigern vom Leben als Trucker im 30-Tonner-Diesel sang und den Verdruss mit proletarischer Mühseligkeit in dem Lied „Hey, Boss, ich brauch’ mehr Geld“ bündelte. Ist er darauf stolz, der Rüschenhaftigkeit deutschen Schlagerschaffens eine gewisse rohe Note gegeben zu haben? „Ich war immer down on earth, ’ne ehrliche Haut. Und beide Lieder, die kamen von Herzen, die musste ich nicht erfinden, die waren in mir drin.“

Gunter Gabriel, der Apfelschorle trinkt und keine Zigarette anfasst während der Unterhaltung, dem glaubt man das. 1942 in Bielefeld geboren, seine Mutter starb, als er vier Jahre erst war, sein Vater, Schrankenwärter, später Inhaber einer Spedition. Der Mann wusste wirklich, wie das Leben jenseits des schönen Scheins funktioniert. Heute sagt er, dass er sich schon immer als Liedermacher verstanden habe, Reinhard Mey wunderbar findet, obwohl der immer ein wenig überkandidelt wirke. „Zu sauber, zu glatt, zu einschmeichelnd – aber die Texte, die Songs, einfach geil.“ Früh hat er gewusst, dass einfache Maloche nicht sein Ding ist, obwohl er als Bauarbeiter, Fernfahrer, Discjockey und im Hafen geackert hat – „um krankenversichert zu sein, um nicht zu verhungern, um mein eigener Herr zu bleiben, was weiß ich, kann ich nicht mehr sagen, aber das mit der Bühne, kann ich nicht sagen, wer mir das ins Ohr gesetzt hat.“

Mutter? „Nee, kann ich mich dran erinnern, obwohl, muss ich ja sagen, ich hab ja nie an der Mutterbrust gehangen, und deshalb suche ich das immer. Kuscheligkeit, nicht den Sex. Das Ruhige, ich würde sagen, das, was mich so empfindsam macht.“ Seine yellowpressmäßig eifrig notierten Affären, seine Ehen, Lebensabschnittsgefährtinnen, seine Scheidungen – irgendwie kommt diese seine Vita erst jetzt nicht mehr so peinlich daher. „Sogar dass ich nach all dem Alkohol ’ne Psychotherapie gemacht habe, hat dazu geführt, dass man sich lustig gemacht hat. Warum? Weil ich wissen wollte, wer ich bin.“ Und wer ist er? „Kann ich vielleicht in 30 Jahren sagen, dann trau ich mir ’ne Antwort zu.“ Dann wird er 90 sein, „und das ist dann genau das richtige Alter“. Vorher nicht, „bei mir ist noch zu viel in Bewegung“.

Gabriel gab der Rüschenhaftigkeit deutscher Schlager eine rohe Note

Manche Leute, Freunde der reinen Kunst und der unbefleckten Inspiration, nahmen ihm immer übel, dass er Johnny Cash, mit dessen Sohn John Carter Cash er durch Deutschland tingelt, als seinen Freund bezeichnet – ja, hat denn der Amerikaner den Deutschen nur aus Mitleid einst auf die Bühne oder, wie kurz vor Cashs Tod, zu sich ins Studio gebeten? „Das verletzt mich immer noch, wenn ich das höre, aber Cash war wirklich mein Freund.“ Und weshalb mochte er dessen Musik? „Weil die geil ist, weil in ihr eine Seele wohnt, die ganz wund klingt und Trost gibt. Und Mut gibt, den Kampf niemals aufzugeben.“

Und wahr ist ja auch, dass Cash, selig, nur Eingeweihten und Countrymackern in den Achtzigern bis Mitte der Neunziger ein Heiliger war, einer, der immer noch für einen Rückschlag gut ist, einer, mit dem man rechnen muss – was auch klug gedacht war, denn Cash ist ja inzwischen von der juvenilen Popwelt heilig gesprochen worden. Und Gunter Gabriel, sein Pendant vielleicht im deutschen Unterhaltungsgeschäft, Abteilung echte Seelen, möglicherweise auch. „Weiß ich nicht, überhaupt, was weiß ich denn, aber ich mache Musik. Dieter Bohlen musste ja auch lange warten, ehe er richtigen Erfolg hatte – und jetzt hat er ihn. Ich hatte auch Durststrecken, ich würde sogar sagen, Gott sei Dank. Ich weiß, dass ich mit mir rechnen kann.“

Die zweite Apfelschorle ist getrunken, Gunter Gabriel, nicht mal gefönt, geschniegelt, selbst der Hemdkragen sitzt ein wenig schief, als hätte er vor fünf Minuten eher überhastet sein Hausboot im Hamburger Hafen verlassen, dieser Mann sagt jetzt abermals, „dass ich mich nicht schön finde“. Weiß der Himmel, was er an anderen attraktiver findet – könnte jedoch sein, dass gerade diese absolut aufrichtige Unsicherheit in eigener Sache ihn wahnsinnig anziehend macht. Ein großer Junge, der gelobt werden will und gelernt hat, nicht jeden Rückschlag als letztes Wort von höherer Warte zu nehmen. „Ich muss Songs machen, mein Herz ist voll mit ihnen.“ Seine Platte klingt erstaunlich rau, trotzdem wie ein Dokument, adressiert an den Vater, den Schrankenwärter, dass sein Filius es zu was gebracht hat. Ein freundlicher Zausel, sympathisch ungekämmt, ohne dass ihm das als Pose auffiele, der nach Bindungsfähigkeit sucht – und fällt er auf die Schnauze: der, so der CD-Titel, „Sonderfall von Mann“ hat alle Ehre verdient.

Gunter Gabriel, Sonntag, 20 Uhr, Wühlmäuse am Theo, Pommernallee 2–4 / Heerstraße