ROBIN ALEXANDER ÜBER SCHICKSALE
: Spannpratze! Spannpratze!

Wer borgt mir ein Auto und ein Ersatzrad? Wer bringt mir bei, wie man ein Rad wechselt? Wer ruft den ADAC?

Neulich traf ich Vorbereitungen für eine Reise in ein Land, das man – so rät der Lonely Planet – keinesfalls besuchen solle ohne Gelbfieberimpfung, Malariaprophylaxe und einen zweiten Ersatzreifen im angemieteten Wagen. Letzteres ist ein Problem. Wer zwei Ersatzreifen mitnimmt, sollte davon ausgehen, dass er einen braucht. Er muss also ein Rad wechseln können. Ich kann das nicht.

Nun ist Radwechseln keine Kunst, sondern ein schlichtes Handwerk, ich sah sogar einmal, wie eine Frau es tat. Lernen funktioniert am besten durch Praxis. Ich frage also meine Freunde per E-Mail: Wer borgt mir ein Auto und ein Ersatzrad? Wer bringt mir bei, wie man ein Rad wechselt?

Die Antworten lassen sich in folgende Kategorien fassen: 60 Prozent meiner Freunde besitzen kein Auto und veranschlagen für diese Mitteilung ökologisches Prestige. 45 Prozent sind Mitglied im ADAC und rufen gelbe Engel, wenn sie einen Platten haben. Wer jetzt mitgerechnet hat, merkt: 5 Prozent meiner Freunde besitzen kein Auto und sind dennoch Mitglied im ADAC. Einer schreibt mir:

„Ich sitze am Straßenrand/

Der Fahrer wechselt das Rad./

Ich bin nicht gern, wo ich herkomme./

Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre./

Warum sehe ich den Radwechsel/ Mit Ungeduld?“

Meine Freundin meint, meine Freunde wären zu nichts zu gebrauchen.

Hilfsbereit sind sie aber schon. Freund Heiko (Auto/ ADAC) stellt seinen italienischen Kleinwagen zur Verfügung, Freund Matthias (kein Auto/ Ökoprestige) stellt sein Fachwissen: Er hat vor Jahren auf einer Reise durch Kenia seinen schwarzen Fahrer beim Wechseln eines Rads genau beobachtet.

Schon nach zwanzig Minuten finden wir den Wagenheber. Er klemmt in einem kleinen Hohlraum unter der Motorhaube kurz vor der Windschutzscheibe. Der Wagenheber ist eine aufklappbare Spezialanfertigung, damit er dort wenig Platz wegnimmt. Ein Gerät, dessen futuristisches Design jeden Anschein plumper Robustheit konsequent vermeidet: eine wackelige Angelegenheit. Im Versteck des wackeligen Wagenhebers finden wir auch noch eine Art Kurbel, die an der einen Seite eine Spitze hat, mit der man die Radkappe aufstemmen kann. Das gelingt nach einigen Versuchen, aber jede weitere mit Krafteinsatz verbundene Tätigkeit scheint absurd mit diesem billigen, biegbaren Gerätchen: Das Rad sitzt fest.

Ihm ist nicht beizukommen. Nicht mit Flüchen, nicht mit guten Worten, nicht mit einem Eisenrohr, das wir über die Kurbel stülpen, um uns die höhere Hebelwirkung zunutze zu machen. Uneinsichtig, der Kraft und der Beschimpfungen dreier Männer trotzend, betonfest sitzen die Muttern über den Radschrauben. Muttern – diesen Namen haben sie nicht verdient, beschließen wir. „Muttern“, das klingt nach wohlig-weichem Bemuttern oder nach Futtern wie bei Muttern, aber nicht nach Eisenteilen, die sich dummstur an ein Rad klammern. „Euch nennen wir nicht mehr Muttern“, giften wir sie an, „euch nennen wir jetzt Spannpratzen!“ Das treffende Wort hat Matthias bei einem befreundeten Opel-Werkstudent aufgeschnappt. Spannpratzen gibt es wirklich und tatsächlich in der Autoproduktion. Aber ab jetzt und für alle Zukunft heißen so die garstigen Exmuttern. Und jeder, der sich verhält wie eine: Spannpratze – sprechen Sie das Wort einmal laut und verachtungsvoll aus.

Oder, noch besser, schreien Sie jemanden an, der es wirklich verdient hat: „DU SPANNPRATZE!“ Funktioniert übrigens auch als Verb: Ey, du spannpratzt, Alte! Achtung Dudenredaktion: Die erste Person existiert nur passivisch. Vorsicht bei der Partizipbildung.

Falsch: „Ich wurde gespannpratzt“

Richtig: „Ich wurde spanngepratzt“. Bei weiteren Fragen zu Spannpratzen: Rufen Sie mich ruhig an. Wenn Sie wissen wollen, wie man ein Rad wechselt, rufen Sie den ADAC.

Frage heute: Was sind Spannpratzen wirklich? kolumne@taz.de? Morgen NEU: taz-Test