Mit offenen Armen

Liebe global: Filme über Fußballspielerinnen aus Tel Aviv, Heilerinnen aus Soweto und schrille Thriller über das Geburtstagfeiern bekäme man ohne das Lesbenfilmfest, seit 20 Jahren eine Institution, hier vermutlich nie zu sehen

Wenn sich eine junge Frau zu ihrem Geburtstag nichts sehnlicher als einen gemeinsamen Campingurlaub mit sämtlichen Ex-Partnerinnen wünscht, kann dahinter nur ein grenzenloses Harmoniebedürfnis oder aber ein ausgeprägter Sadismus stecken. In jedem Fall wird man davon ausgehen können, dass diese Frau mit ihrer Vergangenheit noch nicht abgeschlossen hat. Susan, das Geburtstagskind, erfüllt sich diesen Wunsch in Sharon Ferrantis Thrash-Film „Make A Wish“ und bricht mit ihren Exfreundinnen auf zu einem Naturpark. „Make A Wish“ ist ein skurriler Lesbenthriller, der mit Zitaten aus Horror- und Erotikstreifen ebenso wie aus Naturfilmen spielt und die Genreregeln mitunter so inkorrekt unterläuft, dass es Spaß macht.

Als Eröffnungsfilm des Berliner Lesbenfilmfestivals 2004 ist „Make a wish“ zugleich bezeichnend für das weite Spektrum des Festivalprogramms: sechs Tage lang Liebe und Sex, Drag-King-Persiflagen und Melodramen. Besonders spannend ist das Segment der Dokumentarfilme, die Lebenssituationen von Lesben rund um den Globus zeigen. In die USA führt die Doku „Mind if I call you Sir“ der beiden Regisseurinnen Karla E. Rosales und Mary Guzman. Wenn Diane ihre Kindheit schildert, kann sie nicht still halten. Jeden Satz kommentiert sie mit ausschweifenden Gesten, mit runden und weichen Bewegungen; man merkt, dass sie ein geliebtes Kind gewesen ist: „Meine Familie hatte immer offene Arme für mich. Auch wenn meine Mutter mich als kleines Mädchen ständig zu überreden versuchte, auch mal Kleider zu tragen.“ Als lesbische Latina gehört Diane in San Francisco gleichsam in zweifacher Hinsicht einer Minderheit an. Sie und andere „butches“ und „FTMs“ (Female to Men) erzählen in „Mind if I call you Sir“ ihr Leben und diskutieren Konflikte.

Gesprächsbedarf herrscht offensichtlich auch zwischen dem Trainer des Frauenfußballteams Tel Aviv und den Spielerinnen in „Forerunners“. Er fordert von seinem Team Disziplin, dabei hat jede Spielerin mit sich selbst zu kämpfen. Den beiden israelischen Filmemacherinnen Pazeet Ben Hayl und Galit Shaked gelingt es, in ihrer Dokumentation eine verstörende Intimität entstehen zu lassen, individuelle Momente mit dem sonst so streng organisierten Gruppensport zu kontrastieren. Da sitzt Sylvie, der Star des Fußballteams, mit gesenktem Kopf auf der Treppe und weint still vor sich hin; ihr Vater ist gestorben. In diesem Moment tritt die Kamera vollkommen zurück und Sylvie ist ganz bei sich selbst.

Der enge Zusammenhalt einer Gruppe von südafrikanischen Sangomas (Heilerinnen) in Soweto wird in „Everything must come to Light“ enthüllt. Nach der Trennung von ihren Männern sind zwei Sangomas Beziehungen mit Frauen eingegangen. Dadurch haben sich für die beiden ganz neue Dimensionen im Liebesleben sowie im Dasein als traditionelle Heilerinnen eröffnet. Die Regisseure Mpumi Njinge und Paulo Alberton haben die beiden Sangomas einige Tage lang durch ihren Alltag begleitet. Entstanden ist daraus eine Dokumentation, die durch die Offenheit ihrer Protagonistinnen besticht und in eine aus hiesiger Perspektive ungewohnte Lebenswelt einführt.

Eben dies dürfte auch für die Filme gelten, die in diesem Jahr als Gastprogramm laufen. Durch eine Kooperation mit dem schwul-lesbischen Filmfestival in Bombay werden dabei sieben Produktionen aus Indien gezeigt. Das Lesbenfilmfestival ist mit 20-jähriger Laufzeit eine wichtige Instanz in der Berliner Filmszene geworden. Sechs Tage lang werden hier Produktionen aus der ganzen Welt gezeigt, die vermutlich nie in deutschen Kinos laufen werden. Unnötig zu erwähnen, dass die Finanzierung des Festivals Jahr für Jahr auf Messers Schneide steht. Und doch bedeutet es sicher nicht nur, dass aus der Not eine Tugend gemacht wurde, wenn Erfolg für die Organisatorinnen nicht an einen finanziellen Wert gekoppelt ist. Da zählt der Brief, in dem sich ein ehemaliger Universitätsprofessor für die hervorragende Produktion aus Sri Lanka bedankt, mehr als jede finanzielle Unterstützung. Nicht ganz ohne Stolz verweist Dagmar Boguslawski – eine der Organisatorinnen – dennoch darauf, dass das Festival mitunter sogar Startpunkt für große Karrieren ist: Sylke Enders – Regisseurin des preisgekrönten Films „Kroko“ – hat 1998 für ihren ersten Kurzfilm die Mona D’Oro des Lesbenfilmfestivals gewonnen. Es gibt keinen besseren Beweis für die Einzigartigkeit dieses Festivals.

5. bis 10. 10. 2004, www. lesbenfilmfestival.de