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Hallo, goodbye, Lenin: 13 vagabundierende Tonnen on Tour

Auf seiner Forschungsreise in die postkommunistische Gegenwart ist der Münchner Künstler Rudolf Herz jetzt mit seinem Hinkelstein in Form eines Wladimir Iljitsch Uljanow Lenin in Berlin angekommen. Der Gast bekommt hier, wie schon in Rom oder Zürich, die Gegenwart erklärt. In der deutschen Hauptstadt natürlich: Die glücklichen Arbeitslosen

Wenn das kein Widerspruch in sich selbst ist! Ein vagabundierendes Denkmal aus Granit, das gewaltige 13.000 Kilo wiegt. Aber die Zeitläufte und ein Künstler mit wagemutigen Ideen bringen sogar 13 Tonnen sozialistischen Realismus in Bewegung.

„Lenins Lager“ wollte Rudolf Herz, Konzeptkünstler aus München, einstmals errichten. 1991, in Dresden, als dort das Lenin-Denkmal des sowjetischen Bildhauers Grigori Jastrebenetzki demontiert wurde. Herz’ Vorschlag, der zunächst in der Stadt begrüßt worden war: Anstatt die Monumentalskulptur sang- und klanglos zu entsorgen, sollte sie als gestürztes Denkmal an Ort und Stelle liegen bleiben und so ein neues Mahnmal bilden.

Eine Kampagne von Bild verhinderte „Lenins Lager“, und so ging der gefallene Revolutionär erstmals auf Reisen, nach Ulm, wohin ihn der Steinmetz brachte, der ihn zersägt hatte. Und mit dieser Reise vielleicht schon keimte bei Rudolf Herz die Idee eines mobilen Monuments auf.

Jetzt also, rund zehn Jahre und eine Generalprobe später, die ihn schon 2003 von München über die Alpen ins Tessin und auf den Monte Verità brachte, ist Rudolf Herz mit „Lenin on Tour“. Samt den zwei unbekannten Genossen an Lenins Seite, auf einem sechzehneinhalb Meter langen Sattelschlepper, den es braucht, die schwere Fracht über 8.000 Kilometer hinweg, quer durch Europa nach Zürich, Turin, Rom, Wien, Prag, Bremen und Dresden zu schippern.

Herz nennt die Aktion eine „Forschungsreise in die postkommunistische Gegenwart“. Die ist Wladimir Iljitsch Uljanow naturbedingt unbekannt, weshalb ihm unterwegs immer wieder Philosophen, Wissenschaftler und Künstler die aktuelle Situation erklären. Heute etwa, wo Lenin in Berlin ist, spricht Guillaume Paoli von den glücklichen Arbeitslosen um 18.30 Uhr im Sternfoyer der Berliner Volksbühne. Natürlich bieten diese Lehrstunden eine geistige Bestandsaufnahme vor allem für uns. Herz will weder den Leninismus noch einen frivolen Revolutionspop reanimieren. Es geht schon um die Frage: Wie stehen wir zu unserem steinernen Gast, der aus Zeiten stammt, als Utopien noch geholfen haben. Jedenfalls soweit die Sowjetunion als – durchaus problematische – Bezugsgröße der Linken die Möglichkeit alternativer Gesellschaftsmodelle wenigstens offen hielt. Und da möchte man schon sagen, Goodbye, old man.

BRIGITTE WERNEBURG

Heute Abend, 19.30 Uhr, Vortrag von Guillaume Paoli, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Sternenfoyer

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