Unser ach so gutes deutsches Italien

Archäologie, Zeitgeschichte, Fellini, Neurosen und Ironie: Jan Koneffkes Bildungserlebnis „Eine Liebe am Tiber“

Eine Geschichte, zu schön, um wahr zu sein. Was heißt das eigentlich? Entweder, dass etwas besonders Schönes sich gemeinhin nur in der Phantasie ereignet, aber nicht in der Wirklichkeit. Oder dass, was sich da ereignet, sei es im Roman oder im Leben, unwahr ist. Jan Koneffke hat eine solche Geschichte geschrieben, und schon ihr Titel „Eine Liebe am Tiber“ flackert verdächtig im zweifelhaften Licht jenes „zu schön“. Ja, das ist Italien. Unser ach so gutes deutsches Italien, wo das Leben zwischen den Sätzen nur so hervorquillt, wo die Schuster in ihren Werkstätten Opernarien schmettern, wo noch die gewieftesten Strolche Typen sind, und selbst Faschisten halb so wild.

Dahin hat sich der Musenmensch Ludwig Wieland zurückgezogen, um seinen Neigungen nachzugehen: Sonette dichten, Gambe spielen, Altertümer sammeln. Halb schrullig, halb schuldig ist dieser ehemalige Wehrmachts-Lastensegler – nicht nur wegen seiner halsstarrigen Überzeugung, sich in einem Land aufzuhalten, das „von Faulpelzen und Schlawinern bewohnt“ wird. Seine Frau dagegen mischt sich unters Volk, rettet aufrührerische Studenten, macht dolce vita, wird unglücklich und endet im Tiber. Zurück bleibt ein Knabe, der die Geschichte so arglos erzählt, als wäre alles so neu wie das erste Mal mit Lili im Keller, von dem er auch erzählt.

Was das Herz begehrt, hier wird es opulent serviert. Gekocht wird freilich nicht mit Basilikum, Kalbsdarm oder Polenta, sondern beispielsweise mit exquisiten Verben. Koneffkes Figuren reden nicht einfach, sie „kreischen“, „quasseln“, „kakeln“, sie „schnauben“ sich an wie im schönsten Schulaufsatz, und wenn sie von etwas besonders erregt sind, dann wird „schafuttert“ – und porca miseria, diese Figuren sind oft erregt.

Wie jedes Italienbuch ist auch das des Massimo-Stipendiaten und langjährigen Rombewohners Koneffke ein Bildungserlebnis: ein wenig Archäologie, ein wenig Zeitgeschichte, Szenen wie von Fellini, Neurosen wie von Freud, eine pikante Prise Naziwurz, reichlich postmoderne Ironie – alles schön bunt und laut vermengt wie auf einem Marktplatz. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, als böten dort nurmehr gekaufte Komparsen ihre Waren feil. Zu marktschreierisch wird um die Gunst des Lesers gebuhlt, zu routiniert ist gefertigt, was hier als Fülle des Lebens verkauft wird.

Anstelle einer authentischen Erfahrung, wenn es denn schon Rom sein muss, werden einem Fuhren voll funkelndem Tand vor die Füße gekippt. Geschickt angeordnet, aber letztlich doch beziehungslos, und darin der archäologischen Sammelwut vergleichbar, mit der Vater Wieland ergaunerte Antikenscherben hortet, ohne damit glücklich zu werden. Vielleicht liegt in jener fragwürdigen Leidenschaft des Vaters dann doch ein Moment echter Tragik, das sich auf das Buch und seinen Autor wenden lässt: Der Roman als Dokument der gescheiterten Liebe eines deutschen Musenmenschen zu Rom. STEFAN KISTER

Jan Koneffke: „Eine Liebe am Tiber“. DuMont Verlag, Köln 2004. 314 Seiten, 19,90 Euro