Deutsche Weinvisionen

Verbraucherschutzministerin Renate Künast über Glanz und Elend im deutschen Weinbau

Interview MANFRED KRIENER

taz: Das Thema „Wein“ stand auf Ihrer Agenda bisher nicht so weit oben. Sahen Sie keinen Handlungsbedarf?

Künast: Wir erledigen eins nach dem anderen. Jetzt wollen wir beim Wein neue Räume beschreiten. Inzwischen hat die Weinwirtschaft schon mal ihre Weinvision 2020 skizziert. Man sieht also selbst Veränderungsbedarf, das ist positiv. Da wollen wir uns einmischen, damit die Chancen des deutschen Weins besser wahrgenommen werden. In der Branche wird viel diskutiert über Qualität und Marketing. Das werden wir weitertreiben gemeinsam mit allen Vertretern der Weinwirtschaft und dann die nötigen Veränderungen im Weinrecht veranlassen.

Werden Sie auch die Schrecknisse des deutschen Etiketts angehen mit seinem Irrgarten aus Prädikaten, Jahrgängen, hunderten von Rebsorten und Lagen, dazu Begriffe wie Selection, Classic, Hochgewächs, halbtrocken, edelsüß, erste und große Gewächse? Blickt die Weintrinkerin Künast da noch durch?

Das deutsche Etikett ist nicht der wirkliche Schrecken. Ich will schon wissen, ob ich einen Prädikatswein trinke und von welcher Rebsorte. Was die Begriffe „Selection“, „Klassik“ oder „Hochgewächs“ angeht, müssen wir es hinbekommen, dass die Verbraucher aufgeklärt werden, was diese Begriffe bedeuten. Ich gebe zu: Lagen sind eher etwas für Spezialisten. Im Burgund hat man die Lagenbezeichnungen auf die Spitze getrieben. Da kommt es auf jeden Meter Weinberg an.

Im Burgund sind vier Rebsorten zugelassen, in Rheinhessen vierzig. Im Burgund wäre es nicht möglich, dass man „Piesporter Michelsberg“ draufschreibt, und in Wahrheit ist der Wein auf einem Rübenacker gewachsen und der Michelsberg ist 50 km Luftlinie entfernt. Das ist dochBetrug.

Wenn nicht drin ist, was draufsteht, dann haben Sie Recht. Wir brauchen wahrheitsgemäße Lagenangaben und werden das Bezeichnungsrecht mit der Weinwirtschaft diskutieren. Das muss einfacher und klarer werden, da müssen wir entrümpeln. Und wir müssen unsere Qualität, das, was wir hier in Deutschland an großartigen, wirklich exzellenten Weinen haben, sehr viel mehr fördern und nach außen besser darstellen. Die Weinwirtschaft ist noch zu sehr auf Fasswein fixiert, damit ist kein Blumentopf zu gewinnen. Deutsche Spätlesen etwa sind durchaus etwas Modernes und haben nichts mehr mit dem zu tun, was noch mein Vater getrunken hat.

Haben Sie den Eindruck, dass der Weinbauverband die Stärken des deutschen Weins tatsächlich fördert? Also: Anmut, Rasse, Leichtigkeit, Eleganz. Läuft man nicht doch dem internationalen Trend hinterher, um mit viel Technik dicke Brummer zu vinifizieren?

Ich erkenne durchaus ein Bewusstsein unserer Stärken. Die Frische und Rasse des deutschen Weißweins ist einer der Kernpunkte der Weinvision 2020. Leider ist das Image des deutschen Weins nicht so gut, wie es sein könnte. Da hängt sehr viel Lifestyle mit dran. Wir müssen es schaffen, gerade den kleinen deutschen Familienbetrieb mit seiner Individualität herauszustellen. Solche Betriebe entsprechen viel eher unseren Vorstellungen vom Wein als die großen amerikanischen Weinkonzerne.

In der Neuen Welt wird stark auf Technik gesetzt. Inzwischen hat sich die Coca-Cola-Mentalität auch bei uns verbreitet. Umkehrosmose und Vakuumverdampfung zur Konzentration und Verdickung der Weine wurden vergangenes Jahr erlaubt. Jetzt kommen die Eichenchips, dann die künstlichen Tannine. Müssen wir eigentlich jeden Schwachsinn nachmachen?

Wir sind in Deutschland sicher gut beraten, auf das Konzept der Prädikatsweine zu setzen. Bei diesen Weinen sind Umkehrosmose, Vakuumverdampfung und andere Eingriffe nicht erlaubt. Wir müssen uns fragen: Wo ist das Weinsegment, mit dem wir Chancen auf dem Markt haben. Und da muss die Weinpolitik auch zu unserer Landwirtschaftspolitik passen. Dort setzen wir auf Ökologie und Regionalität. Beim Wein sollten wir auf unverfälschte Prädikatsweine setzen. Natürlich wollen wir auch die Ökologie im Weinberg fördern.

Fragwürdig sind die derzeitigen Modellversuche in Baden und Württemberg. Dort wird mit Holzchips und Holzbrettern eine Billig- Aromatisierung des Weins mit Eichengeschmack getestet. Wo liegen die Grenzen zur Panscherei?

In Baden und Württemberg wird versuchsweise in kleinen Mengen mit Chips hantiert.

Die Mengen sind zum Teil beachtlich.

Das wird in Australien, den USA und vielen anderen Ländern schon lange so gemacht. Die Frage ist, was man dann aufs Etikett schreibt. Mein persönlicher Genussfaktor wird nicht gerade erhöht, wenn ich mir vorstelle, wie da die Eichenchips aus dem Wein gefischt werden. Aber diese Probleme müssen wir innerhalb der EU regeln, das kann Deutschland nicht alleine. Wir müssen dafür sorgen, dass die Verbraucher erkennen können, ob der Wein tatsächlich im Holzfass war oder ob Eichenchips in den Tank geworfen wurden.

Die Deklarierung muss also ehrlicher und transparenter werden. Wenn Weine künstlich per Umkehrosmose eingedickt wurden, muss das klar so draufstehen. Bei Eichenchips muss draufstehen: „Mit Eichenchips aromatisiert“. Bisher ist das nicht der Fall.

Das ist mit ein Grund, warum ich mich um dieses Thema stärker kümmern will. Aber letztlich sind dies Probleme des internationalen Bezeichnungsrechts und des Welthandels, da gibt es viel zu tun. Aber was nützt das beste Bezeichnungsrecht, wenn die Verbraucher doch nur den billigsten Tropfen kaufen. Es muss so sein, dass unsere Weinpreise die Menschen, die den Wein herstellen, auch ernähren können. Viele VDP-Betriebe, viele Biowinzer zeigen, dass es funktioniert.

Wenn Sie die Biowinzer ansprechen: Warum haben wir eigentlich keinen ordentlichen, voll ausgestatteten Professorenstuhl für Ökologie und naturnahen Weinbau in den Weinbauschulen Geisenheim und Weinsberg, sondern nur eine Teilzeitstelle?

Immerhin gibt es diese Professur seit März diesen Jahres. Was die Ökologie im Weinberg angeht, kann ich mit Freude feststellen, dass die konventionellen Winzer sich in den letzten Jahren viel von den Biowinzern abgeschaut haben. Die sind im positiven Sinne infiziert. Genauso wichtig wie die Ökologie ist für mich die Unterstützung für den Steillagenweinbau.

Mit der Steillagenmisere gehen ganze Kulturlandschaften vor die Hunde. Wie wollen Sie gegensteuern, damit die arbeitsaufwändigen steilen Weinberge erhalten werden?

Es wird nur funktionieren, wenn die Steillagenwinzer hohe Qualität produzieren, die sie dann auch am Markt unterbringen. Auch die Bundesländer sind gefordert, ihre Steillagenwinzer zu unterstützen. Ohne Steillagen wird auch der Tourismus leiden. Da müssen die Länder ran. Natürlich sind zuerst die Winzer gefordert. Wo sortiere ich mich als Winzer ein, welches Konzept verfolge ich? Und was unsere Gastronomie an deutschen Weinen auf ihre Karten setzt, ist sicher auch noch steigerungsfähig.

Vision 2020: Ist das Bild des naturreinen Wein, wie er früher im Weingesetz stand, der weder von Holzchips noch von Dampfmaschinen misshandelt wurde, eine Vision für eine grüne Ministerin?

Das ist für mich eine anspruchvolle Vision und ein Marktsegment, das den deutschen Wein nach vorne bringen kann. Aber Wein ist ein internationales Produkt, wir können nicht alles verbieten. Ich will erst mal Schritte zur Transparenz.