Stille Schweizer Post

Firma aus St. Gallen bringt die niedersächsische Polizei in die Bredouille – und sorgt für Überlegungen, eine Anfrage der Grünen zu manipulieren

aus Hannover Kai Schöneberg

Auf den „enormen drohenden Schaden für die Strafverfolgungsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland und auf den Reputationsverlust Niedersachsens“ brauchte der Mitarbeiter des Innenministeriums gar nicht mehr „vorsorglich“ hinzuweisen: Im Landeskriminalamt (LKA) standen nach dem Ultimatum aus St. Gallen ohnehin alle Signale auf Alarm. Dort hatte nämlich ein Mitarbeiter der Schweizer Dotcom-Firma Vadian.net angerufen und gedroht, seine Server für „die Polizeien des Bundes und der Länder“ abzuschalten, wenn nicht „die von der Firma gerügte Veröffentlichung im Internet zurückgezogen würde“ – so heißt es in dem panisch anmutenden internen Schreiben des Innenministeriums, das der taz vorliegt. Ohne die Schweizer Computer aber funktioniert die „stille SMS“, das bei Datenschützern und Juristen umstrittene neue Fahndungsmittel der niedersächsischen Polizei, mit dem mutmaßliche Straftäter aufgespürt werden sollen, nicht mehr.

Bei der „Veröffentlichung“ handelt es sich um eine kleine Anfrage der Grünen im niedersächsischen Landtag. Thema: die stille SMS. Das LKA Niedersachsen hat damit in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 71-mal versucht, Verdächtige zu lokalisieren – so die auch im Internet verfügbare Antwort.

In dieser „Veröffentlichung“ wird auch der Name der Software genannt, die die Polizei bei dem Verfahren benutzt: „SMS Blaster“ – das Produkt aus St. Gallen. Nach mehreren Presseberichten (auch in der taz) luden sich viele Neugierige das kostenlose Programm aus dem Netz. Von inzwischen 70.000 Usern spricht Vadian.net. „Die haben unsere Server lahm gelegt – das war verdammt ärgerlich“, sagt Piero Stinelli, Geschäftsführer des Software-Unternehmens, der sich ansonsten nicht weiter zu dem „Vorfall“ äußern will. „Hauptsorge der Firma“ sei zudem, so das Schreiben des Innenministeriums, „dass sie durch eine Nennung als Vertragspartner der Polizei Angriffen von ‚Hackern‘ ausgesetzt sein könnte und ‚private‘ Kunden ‚abgeschreckt‘ werden“ könnten.

Um das zu unterbinden, wurden die Schweizer tätig – zum Leidwesen der Beamten in Deutschland: Bei der angedrohten „Zugangssperrung“ zu den Servern der Schweizer würde „großer taktischer Schaden“ entstehen“, der „vor allem bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität die Ermittlungsarbeit erheblich erschweren würde“, heißt es in einem Schreiben des Landeskriminalamts. Zudem, und viel schlimmer noch, gebe es „nach hiesigen Erkenntnissen“ derzeit „nur die Möglichkeit über den Server der Fa. Vadian.net“ oder über eine Bundesgrenzschutz-Software stille SMS zu versenden. Das vom BGS entwickelte Programm, urteilt das LKA, stelle jedoch „keine Alternative dar“, eigene Hard- und Software bereitzustellen sei zu teuer. Das LKA regt daher an „zu prüfen, ob in diesem konkreten Einzelfall auf die Veröffentlichung im Medium Internet verzichtet werden“ könne.

Ralf Briese, Justizexperte der niedersächsischen Grünen und Autor der kleinen Anfrage, bestätigt den Vorgang. Tatsächlich sei ein Mitarbeiter des für die Veröffentlichung der parlamentarischen Anfragen zuständigen Landtags an ihn mit der Bitte herangetreten, ob man den Programmnamen „SMS Blaster“ im Internet nicht durch „eine spezielle Software“ ersetzen könne. „Ich habe verneint: Gerade parlamentarische Dokumente dürfen im Nachhinein nicht manipuliert werden“, sagt Briese.

Das Innenministerium reagiert reserviert auf Nachfragen: „Es gibt keine Irritationen mehr“, sagt ein Sprecher. Offensichtlich haben die St. Gallener nur geblufft. Die Anfrage der Grünen ist immer noch samt „SMS Blaster“ im Netz, und die Polizei versuche nach wie vor, Verbrecher per stiller SMS zu orten.

www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen_15_2500/0001-0500/15-0352.pdf