Die Leiden des Henrik O.

Schwule Ästhetik? Das Hannoveraner Sprengel-Museum zeigt Henrik Olesens Familien- und Freudcollagen. Eine der Erkenntnisse: Sex mit gleichgeschlechtlichen Fabelwesen ist verboten

aus Hannover Jörg Meier

Martyrium Homosexualität. Das muss gerade Museumsbesuchern mal wieder in aller Agitprop-Deutlichkeit vor Augen geführt werden, indem „Kunstgeschichte durch Akzentuieren und Umgestalten politisch kontextualisiert“ wird – wie Kuratorin Gabriele Sand zur Henrik Olesen-Ausstellung im Sprengel Museum Hannover mitteilt.

Das sieht dann so aus: Der in Kopenhagen und der Städelschule Frankfurt ausgebildete Däne notiert mit Bleistift „Glückliches Jahrhundert des Kapitalismus – Glückliches Jahrhundert des Familialismus“, nimmt eine Grafik von Max Ernst, die drei Männer zeigt, und schreibt darunter: „Papa – Mama – Ich“.

Gut, dass wir daran erinnert werden: Die Keimzelle der Gesellschaft, das Bild der Heiligen Familie, ist eines von brutaler Ausschließlichkeit. Stimmt das? Kennen die liberalen Dänen nicht unseren multimedial gefeierten Volksmusikanten Patrick Lindner nebst Lebensgefährten und Adoptivkind?

Unter der Überschrift „Kriminalisierung des privaten Raums“ geht es weiter. Olesen greift in die Ernst‘schen Collagen ein – wiederum collagierend. Wird dort ein Mann von einem Drachen in den Anus gefickt, klebt Olesen das Foto eines Polizisten/Soldaten daneben, der alles beobachtet. Klar: Sex mit gleichgeschlechtlichen Fabelwesen ist verboten, da schaut der Staat hin, greift ein und straft.

Aber was hat das mit Sex unter Männern zu tun? Olesen zeigt, dass Medien wie die Bildende Kunst nicht nur manipulieren, sondern auch manipuliert werden können.

So deutet er „die heterosexuelle Fixierung auf das erotische Wesen Frau“ (Sand) um. Wo in den Grafikfolgen bei Max Ernst einer Frau schon mal Raubvogel-Flügel wachsen, drum herum Fortschritt (Industrieschlote), Tod (Skelette) und ganz viele Angst-Monster drohen, setzt Olesen an Stelle der Frauen immer mal gefesselte, geknebelte Jünglinge. Gern mit erigiertem Penis und einem Sklaven, der die Füße leckt.

Olesen wird noch deutlicher: Er klebt das Foto eines Riesenpenisträgers auf die Fotokopie des ersten Kapitels von Freuds „3 Abhandlungen zur Sexualtheorie“: „Abweichung in bezug auf das Sexualobjekt“. Und in einen dramatischen Entwurf von Kurt Schwitters (dort heißt es, „sie sind verhaftet“, man werde jetzt schießen, kreuzigen, vergiften und so weiter) schreibt der Künstler das Paragraphensymbol der Unterdrückung hinein, die drei Zahlen „1“ und „7“ und „5“, flankiert von den Worten „Missionarsstellung“, „hetero“ und „Staatsmonopol“.

Alles klar?! Die Ausstellung schaut aus wie eine Auftragsarbeit fürs Museum. Bezieht sie sich doch auf Werke von Max Ernst, die das Museum besitzt, aber nicht zeigt. Zudem wird Hannovers Kunst-Heiliger Kurt Schwitters zitiert – und auch noch auf die Sprengel-Architektur eingegangen. Unter die frei schwebende Duft-Box, in der Wolfgang Laib Bienewachs-Skulpturen auf Granitplatten verstaut hat („Nirgendwo“, 1995), baute Olesen seinen Ausstellungsquader.

So ist das mit der jungen Künstlergeneration. Der Ende der sechziger Jahre geborene Olesen ist von der konzeptuellen, recherchierenden und institutionskritischen Kunst der Neunziger sozialisiert, hat in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen bereits versucht, als Gegenposition wieder formale Gestaltung und Ausführung an Bedeutung gewinnen zu lassen. Aber in Hannover kommt er nicht zu überzeugenden Ergebnissen, wie subjektive Biografie, politisch-soziale Interessen und sexuelle Orientierung zum Ausgangspunkt künstlerischen Vorgehens werden könnten.

Wer die Schau irritiert verlässt, kann gleich gegenüber die Max Ernst-Räume besuchen und in der Klarheit, Surrealität und Ausdruckskraft Erholung finden.

Die ,,Interventionen 33“ von Henrik Olesen sind bis zum 4. Januar 2004 zu sehen, dienstags von 10 - 20 Uhr, mittwochs bis sonntags von 10 - 18 Uhr.