die kopftuchdebatte in berlin (teil 5)
: Elisa Klapheck fordert tolerante Stadt

Mädchen, die freiwillig Kopftuch tragen, sind unsere Zukunft

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass muslimischen Lehrerinnen das Unterrichten mit Kopftuch nur per Landesgesetz untersagt werden kann. Innensenator Körting (SPD) will nun per Gesetz das Kopftuch gleich aus dem gesamten öffentlichen Dienst verbannen. Die jüdische Feministin Elisa Klapheck widerspricht dem vehement.

Wollen wir eine weltoffene und tolerante Stadt? Wenn nicht, dann soll Innensenator Körting sein Gesetz durchziehen, nach dem die öffentlichen Institutionen – darunter die Gerichtsbarkeit und das Schulwesen – tatsächlich nur die Chimäre einer ethnisch homogenen Gesellschaft unter ausschließlich christlicher Werte- und Kulturdominanz repräsentieren. Wie selbstverständlich christlich diese Gesellschaft ist, zeigt sich allein daran, dass fast alle gesetzlich freien Arbeitstage christliche Feste sind, während Juden und Muslime für ihre Feiertage Urlaub nehmen müssen.

Wenn wir aber eine tolerante Stadt wollen, dann muss ihre heterogene Realität auf allen Ebenen sichtbar sein können – natürlich stets in den Grenzen der Demokratie und des Grundgesetzes. Der Mönch, der in der Kutte Physik unterrichtet, der orthodoxe Jude, auf dessen Feiertagskalender der Lehrplan Rücksicht nimmt, oder die gläubige Muslima mit Haarbedeckung, die aufgrund ihrer kulturell vielschichtigen Erfahrungswelt möglicherweise den spannendsten Deutschunterricht überhaupt geben kann – dies alles muss in einer offenen Gesellschaft möglich sein. Ich kann mir für Kinder und Jugendliche eigentlich keine bessere Erziehung zur gegenseitigen Anteilnahme vorstellen, als Begegnungen mit Vorbildern und Respektspersonen, die mit ihrem eigenen Beispiel verkörpern, dass es noch andere Lebenswelten gibt, als die, in der man aufwächst. Die Grenze zwischen persönlicher Lebensführung und religiöser oder politischer Indoktrination ist dabei definierbar, und da soll es gesetzliche Bestimmungen geben, die Missbrauch unterbinden.

Die Musliminnen im Berliner trialogischen Projekt „Sarah-Hagar. Religion, Politik, Gender“, in dem ich engagiert bin, haben mir beigebracht, zu unterscheiden, dass Kopftuch nicht gleich Kopftuch ist. In meinem Schöneberger Kiez sehe ich heute Familien, in denen die eine Schwester die Haare bedeckt, die andere nicht – beide haben sich individuell entschieden; ich sehe Mädchen, die elegante Tücher kunstvoll um ihr Haar gewunden haben, zugleich Jeans und hohe Absätze tragen. Ich sehe, dass das Tuch für die einen Frauen religiöse Demut und auch Unterwerfung symbolisiert, mitunter sogar Zeichen jenes radikalen politischen Islam ist, vor dem sich der Westen mit Recht fürchtet und dem klare Grenzen zu setzen sind. Doch ich sehe auch Frauen, die das Tuch mit Stolz tragen und so demonstrieren, dass sie als gleichberechtigte und emanzipierte Mitglieder dieser Gesellschaft nicht bereit sind, auf ihre kulturelle und religiöse Herkunft zu verzichten.

Als bewusste deutsche Jüdin erkenne ich in der jetzigen Kopftuchbatte viel von der alten Forderung an die Juden im 19. und 20. Jahrhundert wieder, nach der sie nur dann gleichwertige Bürger im deutschen Staat sein dürfen, wenn sie jeglicher äußerer Zeichen ihres Judentums entsagen – wobei die Mehrheitsgesellschaft natürlich weiterhin unhinterfragt ihre christliche Werte- und Kulturdominanz ausüben darf. Als Feministin erkenne ich jedoch noch andere Vergleichsmomente wieder. Ich war schockiert, als ich von einer Muslima erfuhr, dass sie keine Richterin werden kann, obwohl sie die deutsche Staatsbürgerschaft hat, perfekt Deutsch spricht und mit glänzenden Noten ihr (deutsches!) Jurastudium absolviert hat – weil sie das Tuch trägt. Die subtil-arroganten Demütigungen, die sie seitens ihrer KollegInnen erleben muss, erinnern mich stark an Erfahrungen der ersten Juristinnen vor dem Ersten Weltkrieg, die damals mit den fadenscheinigsten Begründungen nicht zu allen juristischen Berufen zugelassen wurden.

Die muslimischen Mädchen, die sich – wohl bemerkt freiwillig – für das Kopftuch entscheiden und ihren Weg in diese Gesellschaft suchen – emanzipierte Bürgerinnen zu werden, ohne ihre Herkunft zu verleugnen – haben meine volle Solidarität. Wenn es uns um einen modernen und toleranten Islam in Berlin ernst ist, sind genau diese Mädchen unsere Zukunft. Ich hoffe, dass eines Tages möglichst viele von ihnen als Lehrerinnen einer nächsten Generation vermitteln, dass Religion – auch der Islam – unter den Bedingungen der Demokratie möglich und dass eine muslimische Herkunft unter gleichberechtigten Bedingungen in Deutschland lebbar ist. ELISA KLAPHECK

Die Autorin ist Chefredakteurin von jüdisches berlin Dienstag: Günter Piening, Integrationsbeauftragter des Landes Berlin