Mit Wind und Welle

Wellenkraftwerke werden marktfähig. Nachdem sich das Pilotprojekt auf der schottischen Insel Islay bewährt, planen Ingenieure weitere Anlagen. Die Technik muss den schwersten Stürmen trotzen

Auch Greenpeace war längst vor Ort. Mit dem Aktionsschiff „Rainbow Warrior“ liefen die Umweltkämpfer damals im Hafen der Insel Islay ein – Pläne für ein neues Kraftwerk hatten sie alarmiert. Doch ausnahmsweise ging es den Aktivisten diesmal nicht darum, ein Kraftwerk zu verhindern, sondern es zu unterstützen. Denn am südwestlichen Zipfel der schottischen Hebriden-Insel wurde eine neue Ära der ökologischen Stromerzeugung eingeläutet – mit einem Wellenkraftwerk.

Das war 1999. Im Jahr darauf ging das Kraftwerk in Betrieb, interessiert beobachtet von Ingenieuren in aller Welt. Schon manches Projekt in der Geschichte der Wellenkraftnutzung endete als Trümmerhaufen, zerstört durch Meereskraft. Immerhin trifft bei einem starken Sturm auf jeden Meter Küste eine Wellenkraft von einem Megawatt.

Doch die Anlage auf Islay – offizieller Name: Land Installed Marine Powered Energy Transformator, kurz „Limpet“ – hielt allen Sturmfluten stand. In diesen Wochen zog David Langston, Chef der Betreiberfirma Wavegen im schottischen Inverness, eine positive Bilanz des Projektes: Die Anlage laufe ohne Probleme und sei jetzt reif für die Serie. Kenner der erneuerbaren Energien hatten ohnehin schon in der Bauphase vermutet, dass Islay als der Anfang der erfolgreichen Wellenkraftnutzung in die Geschichte eingehen dürfte.

Denn man nutzt hier eine neue Technik, die vielversprechender war als alles, was man bisher kannte: Das Werk schwimmt nicht im Wasser, wie andere Kraftwerke dieser Art, die rund um den Globus in der Vergangenheit konstruiert wurden. Die Anlage auf Islay steht an der Küste. Es treibt folglich auch nicht das Meerwasser selbst die Turbinen, sondern ein kräftiger Luftzug: Er entsteht in drei schrägen, jeweils sechs Meter breiten Schächten durch die darin auf- und abwärts schwingenden Wassermassen. Selbst größte Wellen, so die Kalkulation der Ingenieure, werden nicht bis zur empfindlichen Mechanik der Turbinen vordringen.

Projektmanager Tom Heath war von Anfang an optimistisch: „Wir hoffen, dass das Kraftwerk 30 Jahre läuft“, sagte er vor Inbetriebnahme. Immerhin habe man dreimal so viel Geld verbaut wie nötig – ein Tribut an die zuweilen schwere See und die bisherige Erfolglosigkeit der internationalen Wellenkraftnutzung.

1,5 Millionen britische Pfund (etwa 2,2 Millionen Euro) hat Wavegen in die Anlage investiert. Es ist das erste kommerziell angelegte Wellenkraftwerk weltweit; vorbei sei die Zeit der reinen Forschungsprojekte, heißt es beim Betreiber. Ermöglicht haben es private Investoren – die Stromversorger sind nicht darunter. Immerhin sind diese durch britisches Recht verpflichtet, den Strom für 5,9 Pence (etwa 8,6 Cent) je Kilowattstunde abzunehmen. Zwei Turbinen, zusammen 500 Kilowatt stark, 2,60 Meter im Durchmesser, bringen bis zu 2 Millionen Kilowattstunden jährlich.

Längst beflügelt der Erfolg von Islay auch andere Ingenieure, vorwiegend in Nordeuropa. So hat im dänischen Aalborg im Frühjahr ein international besetztes Forscherteam einen Prototypen zu Wasser gelassen. Der „Wave Dragon“ wird im Unterschied zum Islay-Projekt im Meer schwimmen und mit Tauen am Grund befestigt, also beweglich im Wasser liegen – seine Öffnung wird sich immer auf die ankommenden Wellen ausrichten. Diese strömen über eine Rampe in ein Speicherbecken, das oberhalb des Meeresniveaus liegt. Von dort aus läuft das Wasser über Kaplan-Propellerturbinen ins Meer zurück. Die Pilotanlage wird mit 7 Turbinen eine Leistung von zusammen 20 Kilowatt erreichen – ein einstweilen bescheidener Wert.

So soll dann auch der eigentliche „Wave Dragon“, der ab 2007 geplant ist, viereinhalbmal so groß werden. Er wird 260 Meter breit sein, 21.750 Tonnen wiegen und in mindestens 25 Kilometer Entfernung vor der Küste liegen. Mit einer Leistung von 4 Megawatt soll er Strom für etwa 11 Cent je Kilowattstunde erzeugen.

Das Kraftwerk ist eine Kooperation von dänischen, schwedischen, finnischen, britischen, irischen, österreichischen und deutschen Forschern und Technikern. Deutscher Projektpartner ist der Lehrstuhl für Fluidmechanik der Technischen Universität München (TUM). Dass ausgerechnet eine Hochschule im tiefsten Binnenland sich mit Wellenkraft befasst, hat natürlich einen Grund: „Wir sind als Experten für Wasserturbinen dazu gekommen“, sagt Wilfried Knapp von der TUM. So entwickelten die Münchner die Kaplanturbinen mit unbeweglichen Laufradschaufeln und einem ebenfalls unbeweglichen Leitapparat. Wegen der rauen Bedingungen auf hoher See, sagt Knapp, habe man die Zahl der beweglichen Teile reduziert. Die Leistung werde daher über das Zu- und Abschalten der einzelnen Turbinen geregelt. Auch hier die größte Sorge: Die Technik muss einem Jahrhundertsturm standhalten.

Unterdessen plant Wavegen schon die nächste Anlage. Auf den Färöer-Inseln soll sie entstehen und größer werden als jene auf Islay. Mit den Details hält sich die Firma noch zurück, doch Firmenchef Langston lässt bereits wissen, dass sie vom Prinzip her identisch sein werde mit dem Prototyp. Wenn alles glatt läuft, soll im nächsten Jahr mit dem Bau begonnen werden.

Und auch Greenpeace kämpft weiter für die neue Ökoenergie. „Wir wollen Schottland zur weltweit führenden Region der Wellenkraft-Technologie machen“, heißt es in der britischen Zentrale. Sollte das gelingen, sieht Greenpeace auch riesige ökonomische Chancen für die Region um Glasgow – dort nämlich sollen nach dem Willen der Umweltschützer künftig die Kraftwerke entwickelt werden. Die Stadt am River Clyde könnte dann ein zweites Mal seit der Industrialisierung Energiegeschichte schreiben: In Glasgow lebte einst James Watt, der Erfinder der Dampfmaschine. B. JANZING