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Pott ist tot

Im rauen Oberhausen wurde er für sein offenes Theater gefeiert, jetzt ist der Intendant Klaus Weise im pittoresken Bonn gelandet. Die Gefahr ist groß, dass seine Energie vor der braven Kulisse verpufft

von ALEXANDER HAAS

Wenn sich am Ende der Vorstellung drei Mädchen aus dem Publikum in die Reihe der sich verbeugenden Darsteller mischen, um kichernd und mit McDonald’s-Cokebechern in der Hand mitzumachen beim wohlverdienten Bühnenritus, dann muss man einem Stadttheater heute auf jeden Fall gratulieren. Zumal in Bonn. In Oberhausen hätte man so eine Szene vielleicht noch erleben können. Dort hatte sich der neue Bonner Dreispartenintendant Klaus Weise elf Jahre lang erfolgreich neben und oft auch vor den potenteren Schauspielabteilungen in Bochum, Essen, Düsseldorf und Köln behauptet.

Vor allem mit seinen populären Außenproduktionen in Gasometern, Halden, Klärwerken, oder Kaufhäusern hatte Weise dort beinahe so etwas wie die Wiedergeburt einer Stadt aus dem Geiste des Theaters hinbekommen. Die spröden Pott-Herzen flogen ihm und seinem Theater zu, oft genug bis hin zur zeitgenössischen Dramatik, die er auch spielte. Eine herzlich gute Strategie, in Kritikerumfragen mehrfach gekürt.

Jetzt ist Bonn und alles anders. Die Stadt, die Leute, das Theater. Universititär-bürgerliche Exhauptstädter, seriöses Schauspielniveau nach fünf Jahren Intendanz Manfred Beilharz. Was also macht der neue Mann? Corporate-Design-Relaunch, neue Chefs in Opern- und Tanzsparte einerseits (Weise holte Johann Kresnik als Chefchoreograf), andererseits kein Größenwahn im Schauspiel: Viele Regisseure und Schauspieler hat Weise aus Oberhausen mitgebracht und sein erster Spielplan hätte – was das Mischungsverhältnis von Alt (Molière) und Neu (Kristof Magnusson), Abonnementorientierung (Ibsen) und Engagement bzw. Experiment (Sartre, Rimini-Protokoll) angeht – so fast auch in Oberhausen laufen können. Für Bonn ist vor allem der Teil neu, wo Weise sich auf die Stadt zubewegt. Er will die jüngere deutsche Geschichte fokussieren, kooperiert mit der freien Szene und zeigt mit „Markt der Märkte“ ein Außenprojekt.

Die lässige Realitätsinszenierung des Regieteams Helgard Haug und Daniel Wetzel (Rimini-Protokoll) spielt sich mitten im alltäglichen Bonner Wochenmarkttrubel ab. Natürlich war es hier, beim Antistadttheater, wo sich die Szene mit den Mädchen abspielte. Diese liefen gerade über den Marktplatz als das „Stück“ zu Ende war und haben mal eben mitgemacht. Ein für die Arbeiten von Rimini-Protokoll typisches Ereignis. Ihre Inszenierungen („Deutschland 2“, „Deadline“) bauen auf den Zufall, „Markt der Märkte“ erobert den lokalen Markt mit theatralen Mitteln, um ihn mit dem globalen zu verschneiden.

Etwa 25 Zuschauer sitzen auf dem Balkon des Metropol-Kinos, ausgestattet mit Kopfhörern, und blicken auf den Markt unter ihnen. Darsteller sind ein Statistenteam und die Händler an ihren Obst-und-Gemüse-Ständen, jeder für sich eine Welt. Einerseits eine beschauliche Szenerie, andererseits der nackte Existenzkampf: „Geld“, sagt einer, „ist das Dreckigste auf dem ganzen Markt.“ Solche Sätze spielt die O-Ton-Collage aus den Kopfhörern. Sie spiegelt, zusammen mit der Livesituation unten, das Handels- und Lebensparkett der Marktleute. Dazwischen montieren Haug/Wetzel Interviews mit Global Players des Finanzmarkts. Beide Märkte werden von denselben Gesetzen beherrscht. Die Erkenntnis ist nicht gerade überraschend, wird einem aber mit viel Spiellaune und stupendem Einfallsreichtum untergejubelt.

Aber stopp!, wir sind in Bonn, und Klaus Weise ist Intendant eines angesehenen Dreispartenhauses. Also spielt er dem Abonnement auch Literatur vor. Zum Beispiel Molières „Tartuffe“ in Eigenregie. Das ist dann gut geölter Breitwandboulevard vor noch in der sechsten Vorstellung ausverkauften Rängen. Dabei wird der Text zugunsten von Ohnsorg-haftem Amüsierwillen um seine Schnelligkeit und satirische Schärfe gebracht. Und weil man der Macht heute nicht mehr huldigt, aber trotzdem gefällig bleiben will, wird Molières royalistischer Schluss sehr adrett ironisch ins Märchenhafte gewendet. Die unverhoffte Rettung Orgons, der dem diabolischen Blender Tartuffe verfallen war, verkünden entrückte Off-Stimmen bei Wunderkerzenschein. Und der rote Vorhang – wunderbar.

Doch Weises Angebot ist breit, und Strategielosigkeit kann man ihm auch in Bonn nicht vorwerfen. Sein Spielzeitmotto lautet „MännerMachtFrauen“, ein Zug davon findet sich in allen Sparten wieder. Auch in der Abteilung zeitgenössische Dramatik, wo er unter anderem Abi Morgans komplexes Frauen- und Kriegsstück „Splendour“ in einer allerdings schwachen Inszenierung von Christoph Ernst zeigt.

Daneben steht, in der Werkstatt, die Uraufführung von „Männerhort“, einer Groteske des 1976 in Hamburg geborenen Kristof Magnusson. In der spartenübergreifend genutzten Nebenspielstätte im Opernhaus gibt’s im Foyer Popmusik bei Rotlicht. Und Freibier – für Männer. Witz und Party also. Entsprechend derb und comedyhaft inszeniert Jungregisseur Kay Voges den in ähnlichem Stil geschriebenen Text. Das macht erst mal Spaß. Doch der „Ladykracher“-Variante für Männer fehlen echte Wendungen. Magnussons vier Nervensägen feiern in einem Shopping-Mall-Keller geheime Partys, während die Frauen oben shoppen. Der Handlungsmangel wäre zu verschmerzen, könnte das Ensemble ihn mit souveränerem Spiel auffangen. Also: Es bleibt noch eine Menge Schleifarbeit für Klaus Weise in Bonn.

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