„Ich bin verkauft worden“

Ein Vizepräsidenten-Kandidat hat ihn nach Guantánamo gebracht, sagt Sayyid Abassin

taz: Herr Abassin, müssen Sie noch oft an Guantánamo denken?

Sayyid Abassin: Immer wenn ich nach Gardes fahre. Ich bin Taxifahrer und fahre fast jeden Tag dort vorbei [die Provinzhauptstadt von Paktia, Gardes, liegt westlich von Khost; Anm. d. Red.].

Sie sind dort im Frühling 2002 festgenommen worden.

Ja. Afghanische Polizisten stoppten mich, nahmen mir das Taxi weg und brachten mich zur Polizeistation. Dort wurde ich mit Kabeln geschlagen und dann zu den Koalitionstruppen gebracht. In der Zeit war Tadsch Muhammad Wardak Gouverneur der Provinz Paktia [Wardak ist heute Vizepräsidentschaftskandidat von Yunus Kanuni; d. Red.]. Er kam zur Basis der Koalitionstruppen, und er und die Polizisten verkauften mich für 5.000 Dollar an die Amerikaner.

Wie kommen Sie auf diese Idee?

Die Amerikaner hatten damals bekannt gegeben, sie würden 5.000 Dollar für ein Al-Qaida-Mitglied zahlen. Tadsch Muhammad hat behauptet, ich sei ein Al-Qaida-Mitglied, und er hat 5.000 Dollar bekommen.

Kannten Sie den Gouverneur?

Ich hatte ihn vorher noch nie gesehen. Aber eine Bombe war in Gardes explodiert, und die Amerikaner hatten zu Tadsch Muhammad gesagt, er müsse die Verantwortlichen dafür finden. Da ich leider zufällig dort war, haben sie mich festgenommen und der Koalitionstruppe übergeben.

Was passierte dann?

Ich wurde immer wieder das selbe gefragt: Was hast du während der Talibanzeit gemacht, wieso hast du dieses Taxi, woher hast du das Geld für das Taxi, wer hat das für dich gekauft?

Wie war es in Guantánamo?

Als ich dorthin kam, waren Tag und Nacht dasselbe, es war immer künstliches Licht an. Die Zellen waren sehr klein, 2 mal 1,5 Meter. Diese Käfige durfte man jede Woche nur 15 Minuten verlassen, und man hatte nur 15 Minuten pro Woche für Briefe.

Gab es Beziehungen zu anderen Gefangenen?

Man kann mit den anderen keinen Kontakt aufnehmen, denn man kann ihnen nicht die Hand geben, nicht in ihre Käfige gehen.

Kann man sie nicht rufen?

Ich war sieben Monate lang mit Arabern dort, aber ich verstand sie nicht. Nach einer Weile habe ich ein wenig Arabisch gelernt.

Sind Sie misshandelt worden?

Jeder Mensch auf der Welt stirbt einmal. Aber das Leben in Guantánamo ist ein täglicher Tod.

Was heißt das konkret?

Es war hoffnungslos. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich mich umgebracht, weil es so aussichtslos war. Von meiner Freilassung wurde mir erst zwei Stunden vorher erzählt. Aber ich habe den Soldaten nicht geglaubt, ich hatte von ihnen hunderte Male gehört, dass ich den Rest meines Lebens dort verbringen würde.

Was geschah nach der Rückkehr?

Als ich in Kabul ankam, steckten afghanischen Soldaten mich wieder ins Gefängnis und sagten, du kommst aus Guantánamo, du bist ein Talib. Aber mein Vater hat dann ein Interview gegeben. Daraufhin kam ich frei.

Haben Sie Sympathien für die Taliban?

Was soll ich sagen? Ich wurde von den Taliban geschlagen, weil ich mir den Bart nicht wachsen ließ, aber ich habe Angst, wenn ich jetzt sage, dass ich die Taliban hasse, dass sie dann wiederkommen und mich einknasten.

Heute wären die Taliban sehr glücklich über Ihren Bart.

Ich habe jetzt meine Meinung geändert.

Haben Sie nie daran gedacht, sich zu rächen für die Ungerechtigkeit, die Sie erfahren haben?

Als ich freigelassen wurde, hat mich die Unabhängige Menschenrechtskommission von Afghanistan gefragt, was passiert ist. Ich habe ihnen gesagt, ich will mein Taxi wiederhaben und eine Entschädigung für die Zeit, die ich da verbracht habe. Sie sagten, sie hätten dem US-Botschafter Zalmay Khalilzad und dem [damaligen; d. Red.] UN-Gesandten Lakhdar Brahimi vorgeschlagen, mich zu entschädigen, aber die hätten geantwortet, sie seien Politiker und die anderen Militärs. Da könnten sie nichts machen.

Sollten die Amerikaner Afghanistan verlassen?

Als sie herkamen, war ich voll Hoffnung, dass sie Stabilität und Aufbau bringen würden, aber dann haben sie mich in den Knast gesteckt, obwohl ich nichts getan hatte. Jetzt glaube ich nicht mehr, dass sie dem Land helfen werden. Ich hoffe, dass sie ihre Fehler korrigieren. Wenn sie gehen, werden sich die Bedingungen hier noch mehr verschlechtern. INTERVIEW: ANTJE BAUER