Kein Platz für Ausgrenzung

Ganztags geöffnet, sieben Sprachen im Angebot, sozialpädagogische Betreuung und bis zur 9. Klasse bleibt niemand sitzen. An der Kölner Europaschule herrschen Zustände, wie sie die OECD fordert

von Christiane Martin

„Ich wurde ausgegrenzt, nicht beachtet und gemobbt“, erzählt Mascha über ihren Schulalltag an einem Kölner Gymnasium. Zwei Jahre lang erduldete sie das psychische Martyrium, dann wechselte sie die Schule. Sie hatte inzwischen nicht nur soziale Probleme, sondern auch Lernschwierigkeiten. „Ich habe mich nicht mehr getraut, mich im Unterricht zu Wort zu melden“, erinnert sich die 16-Jährige. Heute geht sie in die 11. Klasse einer Gesamtschule, der Europaschule in Köln-Zollstock, hat gute Noten und spricht selbstbewusst davon, ihre Schullaufbahn mit dem Abitur abzuschließen.

Mascha hat an der Europaschule nicht nur eine individuelle Bildungschance bekommen, sondern auch eine soziale Gemeinschaft gefunden, in die sie freundlich aufgenommen wurde. „Einem Mobbing würde hier rechtzeitig entgegen gesteuert werden“, ist Maschas Mutter überzeugt. An der Europaschule gäbe es Schulpsychologen und Sozialpädagogen, die genau für solche Probleme sensibilisiert sind. Schuldirektorin Dagmar Naegele geht sogar noch weiter: „Ich denke, dass bei uns soziale oder auch ethnische Ausgrenzung gar nicht erst entsteht, weil wir Kinder aus den verschiedensten Herkunftsschichten haben und bei der Klassenzusammensetzung auf ausgewogene Mischungen achten“.

In Zeiten schlechter „Pisa“-Noten der OECD für das deutsche Schulsystem wirkt die Europaschule wie eine Oase. Trotz einer Leistungsdifferenzierung in der Sekundarstufe I bleibt das System bis zur 9. Klasse durchlässig. Das bedeutet: Niemand bleibt sitzen, der Weg zu verschiedenen Bildungsabschlüssen vom Hauptschulabschluss bis zur Hochschulreife ist offen. „Wir ordnen die Kinder nach Talent und Neigung in Grund- und Erweiterungskurse ein. Die für die einzelnen Schulabschlüsse nötigen Kurse können die Schüler noch in der 10. Klasse belegen“, erklärt Naegele. Sie ist seit elf Jahren Gesamtschuldirektorin. „Wir brauchen in Deutschland endlich eine Schule für alle“, fordert sie. Denn der Gemeinschaftsunterricht von Schülern unterschiedlicher Leistungsstufen gilt als Erfolgsgeheimnis von Pisa-Gewinnern wie Finnland.

Die Europaschule mit 90 Lehrern und 1.100 Schülern zeigt, dass Bildung jenseits des klassischen dreistufigen Schulsystems erfolgreich sein kann. Diese positiven Erfahrungen teilt sie allerdings nicht mit allen Gesamtschulen. „Wir haben ein höheres Leistungsniveau als andere Gesamtschulen“, erklärt Naegele. Das liege auch an dem besonderen Profil der Europaschule. Seit 1994 werden hier in einem Modellversuch Auslandsprojekte und zusätzliche Fremdsprachen angeboten. Französisch, Italienisch, Niederländisch, Portugiesisch, Spanisch, Türkisch und Russisch – das Angebot lässt kaum Wünsche unerfüllt.

Ein lernfreundliches und sozialverträgliches Klima schafft die Europaschule auch durch ihr ganztägiges Angebot. Nach dem Unterricht am Vormittag haben die Schüler eine Stunde Mittagspause, in der sie eine warme Mahlzeit in der Schulmensa einnehmen können. Am Nachmittag gibt es Freizeitprojekte im Stil der Arbeitsgemeinschaften anderer Schulen wie Sport, Malen oder Zirkus. Lernintensiver sind Hausaufgabenbetreuung und Trainingskurse, in denen die Schüler außerschulische Zertifikate in Erster Hilfe, den Mofaschein oder Abschlüsse in Business-Englisch erlangen.

„Die Nachmittagsangebote bieten den Schülern einen ganz anderen Rahmen als der gängige Unterricht, sich kennen zu lernen und miteinander umzugehen“, sagt Dagmar Naegele. Es sei aber wichtig, die Kinder in Ganztagsschulen nicht nur zu „bewachen“, sondern eine qualitativ hochwertige Betreuung anzubieten. Dass das in den in NRW jetzt eingeführten Ganztagsgrundschulen der Fall sein wird, bezweifelt Naegele. Trotzdem freue sie sich darüber, dass das Thema inzwischen sachlicher diskutiert werde.