Erst mal abwarten und Tee trinken

Berliner Türken nehmen die Empfehlung der EU-Kommission, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beginnen, gelassen. Jedenfalls die meisten. Eine freut sich über Bekanntenbesuch, ein anderer fürchtet, dass alle „herströmen“

Während der türkische Außenminister Abdullah Gül im fernen Ankara die Empfehlung der EU-Kommission zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen als „historischen Schritt für die EU und die Türkei“ feierte, ist in der türkischen Community in Kreuzberg wenig von Aufregung zu spüren.

An der Hauswand eines türkischen Cafés in der Kottbusser Straße lehnt eine Gruppe Männer, rauchend und Tee trinkend beobachten sie den Verkehr. Frauen mit bunten Kopftüchern begutachten derweil das Gemüse in der Auslage eines Lebensmittelgeschäfts einige Häuser weiter. „Ich würde es schon gut finden, wenn die Türkei in die EU kommen würde – aber in meinem Leben wird sich dadurch nichts ändern“, sagt Ayhan Katadaroglu und lehnt sich entspannt in seinem Bürostuhl im Reisebüro „Özcakir Flugreisen“ zurück. So wie er denken viele Kreuzberger Türken.

Es sind eher Kleinigkeiten, die eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU für sie ändern würde. „Meine Bekannten aus der Türkei könnten mich endlich mal in Berlin besuchen kommen“, meint die 24-jährige Arzu Özgün. „Bisher musste ich immer zu ihnen fliegen, weil sie Probleme mit dem Visum hatten.“ Außerdem könne sie dann ihren türkischen Führerschein auch hier benutzen und ohne Visum nach Griechenland reisen.

Aber längst nicht alle Türken in Kreuzberg stehen einem EU-Beitritt der Türkei positiv gegenüber. „Die ganze Türkei wird nach Deutschland strömen“, meint Ergüm Özcan, Besitzer der Imbissbude „Döner-Turka“. Auch der 41-jährige Yawas Telad sieht darin ein Problem. „Ich habe 35 Jahre gebraucht, bis ich meinen Platz hier gefunden habe. Die Integration von so vielen Menschen wird sehr schwer werden.“

Ein ganz anderes Problem hat die 24-jährige Ayse Ilhan mit dem Beitritt: „Wenn die Türkei beitritt, müssten sie ständig die EU um Erlaubnis fragen.“ Außerdem würden die Europäer die Fortschritte der Türkei in Sachen Menschenrechte nicht genug würdigen. Da gibt ihr auch Arzu Özgün Recht. „Wir werden behandelt, als lebten wir noch in der Eiszeit.“ Wegen des negativen Eindrucks, den andere EU-Länder von der Türkei hätten, sehe sie auch wenig Hoffnung, dass es wirklich zum Beitritt kommt.

Doch schon allein die Aussicht auf einen Beitritt würde viel in der Türkei bewegen, meint Mustafa Kara, Mitglied des Kulturzentrums Anatolischer Aleviten. „Für sich ist die Türkei nicht in der Lage, Reformen in Gang zu bringen. Sie braucht einen Ansporn.“ Nach seiner Meinung gibt es noch viel zu tun, besonders was die Trennung von Staat und Kirche angeht. Denn seine Glaubensgemeinschaft der Aleviten sei immer noch nicht gesetzlich akzeptiert. Außerdem befürchtet Kara, dass es zu einem Rechtsruck in Deutschland kommen könnte, wenn durch den EU-Beitritt weitere seiner Landsmänner und -frauen einreisen würden.

Yawas Telad hat in diesem Punkt gar keine Bedenken. „Deutsche und Türken verstehen sich schon seit Jahren gut.“ Damit ist er sich einig mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der den Beschluss als wichtige Botschaft an die vielen aus der Türkei stammenden Mitbürger Berlins bezeichnete, die „hier und auch in anderen Städten Deutschlands schon lange in Europa angekommen sind“.FRIEDERIKE KRIEGER

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