: Nobelpreis für den Todeskuss
Die höchsten wissenschaftlichen Weihen in der Sparte Chemie gehen dieses Jahr nach Israel und in die USA. Drei Forscher teilen sich den Preis. Sie werden für bahnbrechende Entdeckungen in der Zellbiologie geehrt.
Um ihre Aufgabe zu erfüllen, produzieren menschliche Zellen tausende Eiweiße. Was aber geschieht mit Proteinen, die nicht mehr gebraucht werden? Den Mut, sich schon in den 80er-Jahren dieser Frage zu stellen, hatten die Forscher Aaron Ciechanover, 57, und Avram Hershko, 67, vom Technion Israel Institute of Technology in Haifa sowie Irwin Rose, 78, von der University of California in Irvine. Nach Meinung der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften „schwammen sie gegen den Strom“ und erforschten im menschlichen Körper den Verbleib von Eiweißen. Dabei entdeckten die Chemiker im Innern von Zellen einen der wichtigsten zyklischen Prozesse: den gezielten Abbau von Proteinen, bekannt als Proteolyse.
Dieser Vorgang hat im Körper eine wichtige Rolle: Funktioniert er nämlich nicht korrekt, können beispielsweise Krebs oder Mukoviszidose – eine gefährliche Lungenkrankheit – entstehen. Die Preisträger stellten fest, dass eine Substanz namens Ubiquitin eine tragende Rolle einnimmt. Sie wird als eine Art Aufkleber gezielt an die Eiweiße angeheftet, die abgebaut werden sollen. Haben diese dann den „Todeskuss“ erst erhalten, wandern sie in den zelleigenen Schredder und werden in kleine Bruchstücke zerlegt. Ein genialer Trick der Natur, so scheint es: Für den Körper wichtige Eiweiße werden auf diese Weise von dem Abbau verschont.
Ubiquitin (lateinisch für „überall“) ist seinerseits ein kleines, aus 76 Bausteinen – den Aminosäuren – bestehendes Protein. Mangelt es an ihm, sammeln sich die nicht mehr benötigten Eiweiße in der Zelle. Die Folge: Krebszellen fangen an zu wuchern. Vergleichbar ist diese Katastrophe mit einem Ausfall der Müllabfuhr, als deren Folge eine Stadt im Unrat versinkt. Bereits 1980 hatten Ciechanover, Hershko und Rose herausgefunden, dass Ubiquitin chemisch sehr fest an sein Zielmolekül gebunden wird.
Mit seinen Eigenschaften avanciert das kleine Eiweißmolekül somit zum Fokus neuer Medikamente. Denn wer diese Markierung an einen ungewollten Bestandteil der Zelle hängt, kann ihn prinzipiell auslöschen. Aber auch der umgekehrte Weg wäre denkbar: Fehlt dem Körper irgendwann ein bestimmtes Protein, ließe sich der Abbau möglicherweise bremsen.
„Die drei haben die Voraussetzungen zu einem besseren Verständnis von vielen wichtigen Krankheiten geschaffen“, urteilt der Vorsitzende des Chemie-Nobelpreiskomitees, Håkan Wennerström. Um gleich einzuschränken: „Allerdings hatten sie nicht die geringste Ahnung, wie wichtig die von ihnen angepackte Arbeit war.“ Erst hätten sie geraten, aber schließlich nach jahrelanger Arbeit ihre Hypothese untermauert. JOACHIM EIDING
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