Der „Che Guevara“ aus Hongkong

Leung Kwok-hung ist Hongkongs schrillster Aktivist. Auch seine Vereidigung als Parlamentarier wurde zur Protestaktion

„Rehabilitiert die Opfer des Tiananmen-Massakers, beendet Chinas Einparteienherrschaft, gebt dem Volk die Macht, lasst die politischen Gefangenen frei!“ Mit diesen Slogans begann Leung Kwok-hung am Mittwochnachmittag seine Vereidigung zum Abgeordneten des Hongkonger Legislativrats, des Parlaments der südchinesischen Sonderzone. Danach sprach Leung den offiziellen Eid auf die von Peking abgesegnete Verfassung der Ex-Kronkolonie. Zwei Stunden zuvor hatte ein Richter Leungs Antrag abgewiesen, eine eigene Eidesformel sprechen zu können.

Nach dem Eid rief Leung wieder Slogans, die andere Abgeordneten, die nur zur Hälfte direkt gewählt sind und zum Teil Peking nahe stehen, mit steinernen Mienen quittierten. Leung trug nicht wie vorgeschrieben einen Anzug, sondern zur Jeans ein T-Shirt mit Parolen und dem Kopf Ernesto „Che“ Guevaras drauf.

Leungs Vorrat an Che-Guevara-T-Shirts ist unerschöpflich. Sie und sein langes Haar sind seine Markenzeichen. Hongkongs Medien nennen ihn nur „Langes Haar“ und in der Wirtschaftsmetropole weiß jeder, wer gemeint ist. Schließlich ist der 47-Jährige Hongkongs meistfotografierter Demonstrant.

Seit 1978 ist der Gelegenheitsarbeiter eine Art Berufsdemonstrant. Meist trägt er bei Protesten mit Genossen seiner einst trotzkistischen „Aktionsgruppe 5. April“, deren Name an die Niederschlagung von Protesten 1976 in Peking erinnert, einen Sarg aus Pappe. Darin beerdigen sie symbolisch die Freiheit. Stört sich die Polizei an dem Sarg, in dem sie Waffen befürchtet, kommt es zu Rangeleien. Leung steht für Ungehorsam und symbolische Gesetzesverstöße, bleibt aber immer gewaltfrei.

Auch im Stadtparlament protestierte Leung schon von der Zuschauertribüne aus. Das brachte ihm Gefängnis und Hausverbot ein. Doch bei den Wahlen im September wurde er im zweiten Anlauf überraschend in genau dieses Parlament gewählt. Er bekam in seinem Wahlkreis die zweitmeisten Stimmen. Der überzeugte Marxist präsentierte sich als Interessenvertreter der kleinen Leute, der die Verbindungen des Hongkonger Großkapitals mit Chinas Kommunisten und deren Menschenrechtsverletzungen gnadenlos anprangert.

Die Akzeptanz seiner ungewöhnlichen und unasiatischen Methoden bei seinen Wählern zeigt ihre Unzufriedenheit. „Sie haben mich gewählt, weil ich kein Blatt vor den Mund nehme und wage zu handeln“, meint Leung. Er hält es für ein Missverständnis, dass aus dem System heraus nichts geändert werden könne. Das muss er jetzt in einem Parlament zeigen, das wenig Macht hat und in dem Peking-Kritiker die Minderheit sind. Erst einmal kämpft er für sein T-Shirt. Nach der Vereidigung platzte er in Guerilla-Manier in eine Pressekonferenz der Parlamentspräsidentin und stellte sie wegen der Kleiderordnung vor laufenden Kameras zur Rede. Peking-nahe Medien warfen ihm darauf gestern schon vor, Hongkongs Rechtsstaat zu gefährden. SVEN HANSEN