„Der Terror schockt uns in Palästina genauso wie euch in Europa“, sagt Ghassan Zaqtan

In Palästina gibt eine Reihe junger Schriftsteller, die lieber über Alltag und Gefühle schreiben als über Politik

taz: Herr Zaqtan, Sie haben die palästinensische Delegation organisiert, die zurzeit an der Buchmesse in Frankfurt teilnimmt. Glauben Sie, die Politik überlagert Ihren Besuch?

Ghassan Zaqtan: Politische Themen auszuschließen ist in den arabischen Ländern ein Luxus. Wir sollten trotzdem versuchen, den Bogen weiter zu ziehen. Die Frage ist: Wie können wir unsere Kultur, unser Leben, unseren Weg beschreiben und kreativ dem Westen mitteilen?

Wer gehört der palästinensischen Delegation an?

Die arabische Liga hat uns eine Liste mit Namen geschickt, die bereits im Programm enthalten waren. Damit blieb uns wenig Handlungsspielraum. Wir haben trotzdem einige junge Autoren aus Palästina mitgeschickt, die nicht auf dem Programm stehen. Wir sind in dieser Hinsicht keine palästinensische Delegation, sondern nur eine Gruppe von Leuten, die ihre eigenen Vorstellungen vertreten. Das sind keine Repräsentanten des palästinensischen Kulturministeriums oder der Verwaltungsbehörden. Nehmen Sie zum Beispiel Mahmud Darwish. Wenn er schreibt, dann reflektiert er politische Themen, mit denen er konfrontiert wird. Er sagt: Ich kann nicht über das Paradies schreiben, wenn ich jeden Tag israelische Straßensperren passieren muss. Ich schreibe über mich, wenn ich den Kontrollpunkt passiere. Ich schreibe über das mysteriöse Verhältnis zwischen mir und dem Soldaten, den ich nicht sehen will und der mich auch irgendwie nicht sehen will.

Wie reagieren Sie, wenn die Frage auf den Terror oder die Geiseln im Irak kommt?

Sie werden keinen arabischen Autor finden, der die Tötung von Geiseln befürwortet. Terror gehört nicht zu unserer Geschichte und zu unserer Moral. Aber wir müssen, wenn wir über Terror reden, versuchen, die Ursachen zu verstehen. Wenn man das Gefühl hat, völlig allein und isoliert zu sein, und alle Horizonte komplett verschlossen sind, dann kann das zu wahnsinnigen Reaktionen führen. In Palästina wie im Irak ist die Wurzel der Katastrophe die Besatzung. Terror ist ein neues Phänomen, das uns genauso wie Europa in einen Schock versetzt. Der Irak ist für uns immer die wichtigste Quelle der Kultur, der Geschichte, Musik und Dichtung gewesen – daran denken wir in Verbindung mit dem Irak. Seit 2003 hat sich alles verändert. Bagdad ist nicht mehr das Bagdad, das es einmal war.

Was ist mit al-Qaida?

Al-Qaida ist etwas anderes. Al-Qaida ist „made in USA“. Das hat nichts mit unserer Kultur zu tun.

Die Selbstmordattentäter vom 11. September verstanden sich sehr wohl als Teil der muslimischen Kultur.

Das ist eine Krankheit, die wir gemeinsam bekämpfen müssen.

Und wie?

Wir isolieren diese Leute – raus aus unserer Kultur. Niemand hat uns gefragt, weder George W. Bush noch Bin Laden, ob wir ein Teil dieses Konflikts sein wollen. Aber wir zahlen den Preis dafür, obwohl es mit uns nichts zu tun hat. Davon abgesehen gibt es das Paradies nicht nur im Islam, sondern auch im Christentum. Das ist nicht unser exklusives Markenzeichen.

Wenigstens gehört der Märtyrertod im Christentum der Vergangenheit an.

Ich stimme Ihnen zu.

Worüber schreiben junge palästinensische Autoren?

Es besteht ein großer Unterschied zwischen ihrer Arbeit und unserer: Das Thema der jungen Autoren ist nicht die Besatzung. Die meisten schreiben über alltägliche Erlebnisse, über ihre Gefühle, ihre Träume – alles sehr detailliert, sehr modern. Mehr als die Hälfte der Autoren sind Frauen. Wir haben eine neue Generation mit neuen Themen und neuen Methoden, viel weniger politisch. Ich mag diese jungen Autoren sehr. Es gibt mir Hoffnung (lacht), wirklich.

Gibt es Zensur?

Wir können schreiben, was wir wollen – ich kann zum Beispiel gegen Jassir Arafat schreiben. Die meisten von uns tun das. Aber ich fürchte, dass wir dieses Privileg innerhalb der arabischen Welt verlieren können.

Warum ?

Wegen des islamischen Einflusses. Zum anderen durch die Besatzung, die zu einer Vertiefung der kulturellen Kluft zwischen uns und dem Rest der Welt führt. Wir haben in Palästina seit drei Jahren kein neues Buch bekommen. Die Israelis verbieten das.

Weder arabische Bücher noch Übersetzungen?

Nicht ein einziges Buch. Wir veröffentlichen, wie wir es nennen, das „Buch des Monats“ über die Tageszeitung Al-Ayyam Al-Jadida als kostenlose Beilage.

Warum gibt es plötzlich so viele Nachwuchsautoren?

Das Schreiben ist für die jungen Leute ein Weg, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben: Es ist ihr Weg des Widerstands. Die Situation bringt sie dazu. Leider gilt das auch umgekehrt. Viele hören auf, wenn sie älter werden. Wir haben einige Talente verloren, die komplett das Schreiben aufgegeben haben, weil sie der eigene Überlebenskampf zu sehr in Anspruch nimmt.

Aber es gibt auch Zensur.

Ja – aber wir haben das Problem nicht nur in Palästina, sondern vor allem und viel stärker in Syrien, Irak und Libanon. Nur in Ägypten wird es etwas besser. Manchmal komme ich nach Paris oder nach London und fühle mich dort wie in einer Hauptstadt arabischer Kultur. Wenn du nicht in Demokratie lebst, ist es unmöglich, über die drei zentralen Punkte zu schreiben: Erotik, Religion und das Regime. Darüber können viele arabische Autoren nicht schreiben.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL