Durchmarsch der Betriebswirtschaft?

Die Bremer Glocke feiert ab heute ihr 75-jähriges Bestehen – mit einer Festwoche und nach wie vor ohne künstlerische Leitung

Herbert von Karajan bezeichnete die Glocke einst als drittbesten europäischen Konzertsaal – damals in Bezug auf die Akustik. Aber auch in Sachen Optik (innen Art Deco, außen expressionistische Elemente) ließe sich die Glocke gut loben, zumindest seit 1997: Da war die längst überfällige Renovierung endlich abgeschlossen, das Gebäude an der Domsheide erstrahlte in neuem Glanz. Ganz zu schweigen von der Entlastung der Gesäße und Kniescheiben der ZuhörerInnen, die sich nicht mehr in die engen Sitzreihen quetschen mussten.

Fast 35 Millionen Mark waren damals investiert worden, danach aber verebbte der Geldsegen: Seit der Eröffnung ist die Höhe des Programm-Etats umstritten. Der aber ist maßgeblich für das Profil das Konzerthauses, das ansonsten als Vermietobjekt für diverse Veranstalter fungiert.

Verantwortlich für die Mittel-Bewilligung ist die zum Wirtschaftsressort gehörende Hanseatische Veranstaltungs GmbH (HVG). Der Konflikt mit ihr verschliss seit 1997 drei Glocke-GeschäftsführerInnen. „Wirtschaftsleute müssen bei Kultur Klasse und Masse unterscheiden lernen“, sagte die 2002 ausgeschiedene Geschäftsführerin Ilona Schmiel. Ihre Forderung, den Etat um 500.000 Euro für den Ausbau des eigenen Kulturprogramms zu erhöhen, stieß bei der HVG auf wenig Gegenliebe. Schmiel zog die Konsequenz und kündigte. In ihrer vierjährigen Amtszeit hatte sie vielfältige Kooperationen mit anderen Bremer Kultureinrichtungen organisiert, die „Glocke“ explizit auch für Kinder und Jugendliche geöffnet und dem Haus mit Reihen wie „Glocke vokal“ zu beachtlichem Renomée verholfen.

Ihr Nachfolger Thomas Weinsberg, der nach nur neun Monaten im Juli dieses Jahres seinen Geschäftsführerposten abgab, war indes umstritten. Seine Managementkompetenz wurde in Frage gestellt – obwohl er sich mit einer neuen Jazz-Reihe auch um das Eigenprogramm verdient machte. Seit seinem schnellen Abgang trudelt das Kulturhaus an der Domsheide künstlerisch führungslos durch die Konzertsaison.

Wie lange noch? „Wir gehen das Thema Geschäftsführung mit einer gewissen Ruhe an“, sagt HVG-Pressesprecher Torsten Haar. Eile sieht er nicht geboten – es scheint ja auch so zu gehen. Die HVG hat in Person des Betriebswirtschaftlers Jörg Ehntholt als kommissarischem Geschäftsführer die Zügel selbst übernommen. Der verwaltet nun den Jahresetat von 700.000 Euro, wovon allerdings nur 100.000 Euro für das eigene Programm bleiben. Das wird nun, naturgemäß, stärker nach betriebswirtschaftlichen denn konzeptionellen Gesichtspunkten ausgerichtet.

Das Resultat dieser Gewichtung wird das Bremer Publikum erst in den folgenden Jahren zu spüren bekommen – wenn das noch von Ilona Schmiel und Thomas Weinsberg geplante Programm abgespielt ist.

Dirk Strobel

Eröffnung der Jubiläums-Festwoche heute, 19.28 (!) Uhr, mit einem Wager/Dvorák/Beethoven-Konzert der Bremer Philharmoniker. Weitere Termine: Siehe taz-Veranstaltungskalender. Der von der Glocke für kommenden Mittwoch angekündigte Liederabend mit Thomas Quasthoff fällt wegen Erkrankung aus.