Nur noch Maschinenbediener

Elite- oder Massen-Uni, Wirtschaftlichkeit oder Erkenntnisgewinn? AStA-Vorstand Stefan Kühn und Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) streiten über Hamburgs Hochschulreform und den Abbau der Geisteswissenschaften

Kühn: „Die Uni wird nur noch zum Zulieferbetrieb für Hamburgs Wirtschaft. Das Uni-Leitbild fordert aber ,mündige Bürger‘“ „Dräger: „Wir müssen eine Arbeitsmarktbefähigung vermitteln und zugleich ein Stück unseres Gesellschaftsbildes“

Moderation: Eva Weikert

taz: Wozu braucht Hamburg eine Volluniversität mit Orchideenfächern wie Vietnamistik und Islamwissenschaften, Volkskunde und Archäologie?

Stefan Kühn: Für eine Stadt wie Hamburg, die Metropole und Weltstadt sein will, sollte eine große Uni selbstverständlich sein. Nicht aus repräsentativen Zwecken, sondern um einen Schwerpunkt in Wissenschaft und Bildung zu setzen. Und die Kultur-, Sprach- und Geisteswissenschaften zeichnen das Profil der Hamburger Uni seit jeher aus, sie sind ein zentraler Baustein. Zugleich wird unsere Welt immer komplexer und offener, da brauchen wir kulturelle Mediatoren. Die Islamwissenschaften, um nur ein Beispiel zu nennen, sind vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus aktuell äußerst wichtig.

Jörg Dräger: Ich glaube auch, dass Hamburg eine große Universität und eine vielfältige Hochschullandschaft braucht. Das heißt aber nicht, dass Hamburg alle Fächer anbieten muss und auch in der nötigen Qualität anbieten kann – das wäre eine Illusion. Wir sollten als norddeutsche Region den Anspruch einer großen Bandbreite haben. Aber nicht jeder im Norden kann für sich alleine diesen Anspruch erfüllen. Insofern ist eine kritische Evaluation nötig, wo wir stark sein wollen und können. Und die Chancen auf Exzellenz steigen, wenn wir Hochschulen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern einbeziehen. Es dient keinem, wenn die Bandbreite zulasten der Qualität geht. Und für ein Qualitätsangebot fordert der Wissenschaftsrat eine Mindestgröße von zwei Professuren pro Fach. Man muss sehen, wie das mit der Bandbreite vereinbar ist.

Kühn: Die Diskussion des Entweder-Oder führen Sie ganz allein. Sie ist kurzsichtig. Die OECD fordert Deutschland auf, sowohl bei den Studienanfänger- wie auch bei den Absolventenzahlen kräftig nachzulegen. Wir liegen in beiden Bereichen deutlich unter dem Durchschnitt. Und die OECD verlangt von uns auch, mehr Geld in Bildung zu investieren. Auch das tun Sie nicht. Es wird künftig immer wichtiger, immer mehr Menschen möglichst gut auszubilden. Das kann ich in Hamburg aber nirgendwo sehen. Es werden Studienplätze, Lehrstühle und Fächer abgebaut.

Dräger: Gespart wird an den Hamburger Hochschulen nicht. Es wird aber umgeschichtet und zwar in Richtung der Qualität. Wir bauen die Kapazitäten leicht ab, um die Betreuungsrelationen deutlich zu erhöhen und damit mehr Studienerfolg zu gewährleisten. Grundsätzlich ist es natürlich richtig, das Hochschulsystem auszubauen. Das größere Manko als die niedrigen Anfängerzahlen sind aber die zu niedrigen Absolventenzahlen. Wenn man begrenzte Ressourcen hat, stellt sich die Frage, wo man den Hebel zuerst ansetzt: Bei der Verbesserung des Studienerfolgs oder bei der Masse. Und da zählt für mich die Qualität. Und wenn wir über Ausbau diskutieren, dann müssen wir auch darüber sprechen, was die private Seite leisten kann. Ich rate dringend davon ab, dass der Staat sich für Bildung weiter verschuldet.

Kühn: Niemand sagt, dass sich Hamburg weiter verschulden soll für Bildung. Aber Sie und der Rest des Senats haben doch gerade ein Sonderinvestitionsprogramm über fast eine Milliarde Euro beschlossen. Es werden Prestigeobjekte wie eine Bau-Uni realisiert. Statt in Menschen investieren sie in das Desy und in ein neues Gebäude. Auch mit dem Doppelhaushalt 2004/2005 wird investiert, nur in die falschen Bereiche. Warum gibt es nicht ein Normalinvestitionprogramm in Bildung und Wissenschaft?

Dräger: Mehr als 700 Millionen Euro stecken wir jährlich in die Hochschulen und jetzt gibt es noch zusätzliches Geld. Noch nie hat Hamburg so viel in die Wissenschaft investiert wie mit diesem Sonderinvestitionsprogramm. Damit tun wir etwas für den Forschungsstandort, für die Bauausbildung, für die betriebswirtschaftliche Ausbildung und für die Nanontechnologie. Damit investieren wir in die Zukunft unserer Stadt.

Kühn: Aber wichtig ist doch, dass mehr Leute überhaupt studieren können. Nach der jüngsten Sozialerhebung des Studentenwerks kommen von hundert Kindern wenig gebildeter Eltern 64 schon gar nicht erst auf weiterführende Schulen. Von den 36, die überhaupt Abitur machen, gehen nur elf auf die Uni. Wo ist in ihrem Haushalt etwas angelegt, um diese strukturelle Manko auszugleichen? Warum reden Sie nicht mit ihrer Kollegin Bildungssenatorin, um solche Ungerechtigkeiten zu bekämpfen? Wenn Sie diese Zustände nicht abschaffen, machen Sie nicht ihre Arbeit.

Dräger: Die Zahlen stimmen. Will man aber die Bildungsmobilität erhöhen, muss man über Studiengebühren reden. Denn in Ländern, wo Gebühren erhoben werden, studieren mehr Kinder aus sozial schwachen Familien als im gebührenfreien Deutschland. Es reicht nicht, alle diese jungen Menschen einfach nur zum Studium zuzulassen. Dazu bräuchte ich kein Geld, da erließe ich einfach schlechtere Betreuungsrelationen. Die müssen aber gerade verbessert werden, nicht verschlechtert.

Kühn: Bei der Verbesserung der Betreuungsrelation haben Sie sich doch etwas zurechtgeschustert. Sie ersetzen hochqualifiziertes habilitiertes Personal durch wissenschaftliche Mitarbeiter auf Zeitarbeitsbasis. Das sind Menschen, die keine Konstanz im Lehrbetrieb garantieren können und für die zudem die Zeitarbeit ein Karrieresackgasse ist. Besonders dramatisch ist aber, dass sich die Betreuungsquote von Professor zu Studierendem nur nach unten bewegt. Die Betreuer, die am wichtigsten sind, werden abgebaut.

Dräger: Es geht mir doch darum, die Anzahl der gelehrten Stunden pro Student zu erhöhen. Und es gibt viele Bereiche wie Anfängerseminare und Übungsgruppen, die Doktoranden übernehmen können. Die Geisteswissenschaften haben weniger als ein Sechstel Doktorandenstelle pro Professur. Damit aber kann man niemanden mit internationalem Ruf nach Hamburg holen. Ob die Personalstruktur, die HIS vorschlägt, die Lösung ist, darüber kann man diskutieren. Mit dem Gutachten gibt es jetzt eine Berechnungsgrundlage. Teile davon sind eine politische Entscheidung, das ist die Frage der Studienanfängerkapazitäten. Aber es sind auch Teile darin, wie die Personalstruktur, die in der Verantwortung der Uni liegen.

Kühn: Wenn Sie aber die Professuren der Geisteswissenschaften halbieren, dann setzen sie doch politisch ganz bewusst nur auf die Bereiche, in denen Sie konkurrenzfähig sein wollen wie Natur- und Ingenieurwissenschaften. Die Uni hat aber einen anderen Anspruch. Sie hat eine lange Tradition in der geisteswissenschaftlichen Orientierung, die Sie mit Ihren Plänen Schritt für Schritt zerstören. Wenn ich höre, dass die Dekane der betroffenen Fachbereiche nur die Wahl haben, entweder Fächer in der Geschichte oder aber die Philosophie ganz zu streichen, macht mich das sprachlos.

Dräger: Aber das ist doch eine Polarisierung, die mit der Wirklichkeit wenig bis gar nichts zu tun hat. Es sind HIS zufolge 2012 noch 164 freie Stellen zu verteilen und der Verteilungskampf findet im Moment in der Universität statt. Wenn aber jetzt jede Fachkultur meint, wer am lautesten trommelt, bekommt die meisten dieser Stellen, ist das kein seriöser Umgang mit dem Gutachten.

taz: Aber die Verteilung ist durch Ihre Kapazitätenvorgabe schon entschieden. Fächer ohne direkt arbeitsmarktkompatible Absolventen finden keine Gnade. Worum geht es denn an der Uni, um Wirtschaftlichkeit oder Erkenntnisgewinn?

Dräger: Es geht um beides. Es geht an einer Universität auch darum, Menschen so auszubilden, dass sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Und es geht auch um Erkenntnisgewinn und darum, Forschungsräume zu schaffen, die in dieser Freiheit nur in einem staatlich finanzierten Hochschulsystem möglich sind. Dass wir politisch einige wenige Schwerpunkte gesetzt haben, einer davon China ist und das eine Anforderung an die Uni nach sich zieht, finde ich politisch verständlich. Bei anderen Exzellenzzentren, die zumindest europaweit einmalig sind, ist es relativ egal, ob das der Metropole dient. Aber das trifft nicht notwendigerweise zum Beispiel auf alle 120 Sprachen zu, die an der Uni angeboten werden.

Wir haben eine Entscheidung gefällt und in den Sprach-, Geistes- und Kulturwissenschaften die Absolventenzahl um 18 und die Studienanfängerzahl um 25 Prozent gesenkt. Das ist eine politische Entscheidung, die sich an den Chancen auf dem Arbeitsmarkt orientiert, dazu stehe ich. Die Universität hält dies für zu viel, sie akzeptiert aber die Planungsvorgabe. In der Diskussion werden dann aber manchmal nur die Bachelorplätze gezählt und die Masterplätze vergessen.

Kühn: Aber sie wollen den Bachelor doch als Regelabschluss und den Master streng quotieren. Gerade bei den Geisteswissenschaften. Das steht im HIS-Gutachten. Doch die einzige Grundlage der Studie ist das Finanzbudget und eine Prognose für Hamburgs Arbeitsmarkt 2012. Welch ein Gesellschaftsbild haben Sie, dass Ihnen das als Planungsgrundlage reicht? Die Uni wird damit nur noch zum Zulieferbetrieb für Hamburgs Wirtschaft. Das Uni-Leitbild fordert aber den „mündigen Bürger“. Wollen Sie den überhaupt oder wollen sie nicht lieber Maschinenbediener?

In Ihrer einseitigen Denke ist es allerdings konsequent, die Geisteswissenschaften zu minimieren. Deren Absolventen können keine Flugzeuge bauen und vielleicht auch keine Bilanzen schreiben. Aber bedenken Sie, dass die lernen, komplexe Zusammenhänge zu erarbeiten, die Welt und die Geschichte unseres Landes zu verstehen und die Zukunft zu entwerfen, in die es geht. Das sind Fähigkeiten, die ihre grob fahrlässige Arbeitsmarktprognose übersieht. Auch warnen alle seriösen Institute, es sei unmöglich, den Arbeitsmarktbedarf vorauszusagen.

Dräger: Aber, Herr Kühn, keine Planung ist auch eine Planung, allerdings eine verdammt schlechte. Zudem evaluieren wir alle drei bis vier Jahre unsere Planung und justieren gegebenenfalls nach. Es muss uns doch gelingen, eine Arbeitsamarktbefähigung zu vermitteln und zugleich ein Stück unseres Gesellschaftsbildes.

Kühn: Die Akademikerarbeitslosigkeit ist bei uns aber doch extrem niedrig. Sie verschweigen immer, dass 84 Prozent aller Akademiker in Deutschland in Arbeit sind. Was ist also so schlecht an dem Studium in Deutschland, wenn so viele Arbeit finden? Die von der Qualität des Abschlusses her nächstniedrigere Vergleichsgruppe bekommt zu knapp 70 Prozent einen Job, die darunter sind noch weitaus schlechter dran. Ist das gerecht?

Dräger: Kritisch sind doch die, die ihr Studium abbrechen. Da dürfen sie nicht nur auf die viel zu geringe Quote derer blicken, die es schaffen.

taz: Klingt nach einem prima Rezept: Wir haben Tausende Abbrecher, mit dem Turboabschluss Bachelor werden das künftig alles Absolventen sein.

Kühn: Der Bachelor muss erstmal mit Leben gefüllt werden und es muss klar sein, wie viel Wissenschaftlichkeit und wie viel Basiskompetenzen vermittelt werden. Und genau hier haben wir wieder das Problem mit der Betreuungquote. Für den Bachelor sollen ja nach den Senatsplänen kaum noch Professoren eingesetzt werden, die sehe ich erstmals im Masterstudium. Da sind wir wieder beim Zweiklassenstystem.

Als Zwischenabschluss ist der Bachelor natürlich sinnvoll, aber er darf doch nicht das Ende sein. Wenn mit willkürlichen Quoten verhindert wird, dass die Menschen weiterkommen, ist das ein neues Beispiel für die negative Selektion unseres Bildungssystems. Völlig unklar ist zudem noch, wie die Wirtschaft den Bachelor annimmt.

Dräger: Ich halte grundsätzlich eine gewisse Pyramide bei den Abschlüssen für richtig. Das hat mit der gestiegenen Bildungsbeteiligung zu tun. Als die wuchs, hat man erst den Magister als Zwischenabschluss eingeführt. Nie hat jemand gefordert, dass jeder Magisterabsolvent automatisch promoviert. Diese Pyramide setzt sich jetzt logisch fort und nicht jeder Bachelor-Absolvent sollte automatisch einen Master machen.

Wir sind uns aber einig, dass der Bachelor nicht das heutige Studium nach sechs Semestern sein kann. Da müssen neue Studieninhalte hinein. Und einige davon können aus meiner Sicht besser von Lehrbeauftragten oder Trainern vermittelt werden. Dazu gehören Soft Skills wie Präsentation, Rhetorik und Konfliktmanagement.

Kühn: Falls es ihnen entgangen sein sollte: Auch wir sind sehr besorgt über hohe Abbrecherquoten und wollen unser Studium beenden. Aber wir wollen uns auch nicht abspeisen lassen mit einem Abschluss, mit dem wir nicht weitermachen dürfen. Wenn sich der Bachelor wirklich als so erfolgreich erweist auf dem Arbeitsmarkt und nicht nur einen homo oeconomicus hervorbringt, der ich und sie wohl auch nicht sein wollen, dann wird sich das doch von selbst regeln. Warum beschränken sie den Zugang, ist das ihr Eliteprogramm? Sie haben gesagt, die Uni muss weg vom Massenbetrieb. Warum denn?

Dräger: Weil wir 50 Prozent Abbrecher haben. Mein Bildungsideal ist das nicht.

Kühn: Dann tun Sie etwas dafür, dass die Menschen einen Abschluss machen können. Jetzt aber vertreiben sie die Leute weiter. Sie haben das schon mit der Langzeit- und der Gebühr für Auswärtige getan. Warum gibt es denn kein Teilzeitstudium in Hamburg, damit jene nicht gehen, die zuviel arbeiten müssen?

Dräger: Das ist doch ein Wunsch der Politik, dem die Hochschulen noch nicht nachkommen. Für das Teilzeitstudium trete ich jederzeit ein, weil es ein notwendiges Modell ist, das wir in Deutschland viel zu wenig realisiert haben.

Kühn: Dann kümmern Sie sich darum, statt planwirtschaftlich in die Uni hineinzuregieren.