Die Beste in Schlechtigkeit

„Camp ist eine Art von Komödie, in der sie mich imitieren“, definierte Mae West zu Recht. Im Arsenal-Kino ist zurzeit eine große Retrospektive der Schauspielerin zu sehen, für die Sex ein intelligentes Spiel war, um sich Genuss und Reichtum anzueignen

VON MADELEINE BERNSTORFF

Es geht um sexuellen Appetit. „Sex“ hieß das Theaterstück, für das Mae West 1927 ins Gefängnis kam, nachdem es schon 375-mal aufgeführt worden war. Ihre ganze Karriere ist vom Widerstand gegen die Entsinnlichung des Kinos durch die Regeln des Hays-Code bestimmt, der ab 1930 galt. Die Zensurbehörde bestimmte, was guter Geschmack und was vulgär sei; wenn ein eheliches Schlafzimmer zu sehen war, so durften fortan nur zwei getrennte Betten gezeigt werden.

Mae West, die von Kindesbeinen an in Vaudeville-Theatern aufgetreten war, kam 1932 als Vierzigjährige nach Hollywood. Ihren Ruhm begründeten schon da ihre Stücke vom Broadway, über Frauendarsteller, „The Pleasure Man“(1928), über schwule Männer, „The Drag“ (1927), und einen Sexsüchtigen.

Die Filme entstanden nach ihren Drehbüchern. Wenn das nicht möglich war, schrieb sie sich zumindest ihre Dialoge selbst. Kampflos ging das nicht. Die Durchsichtigkeit ihrer Roben nimmt zwar von Film zu Film ab, nicht aber die Anzüglichkeit ihrer legendären Sprüche, die vor allem durch ihre Intonation eine so hinterhältige Zündkraft erlangen: „Ist das eine Knarre in deiner Tasche, oder freust du dich so, mich zu sehen?“ Auf dem Papier mag sich vieles unverfänglicher gelesen haben. Das konkursbedrohte Paramount-Studio wurde durch ihre Filme vor dem Ruin gerettet: Sex sells.

Transgressive weibliche Sexualität funktionierte natürlich auch als Ware. Das konnte nicht lange gut gehen. Die Industrie sah Mae West schon bald als Bedrohung, die Hearst-Presse rührte kräftig mit.

Oft spielte sie die ironische Prostituierte: eine unabhängige Frau aus der Unterklasse, die wohlüberlegt ihre Sexualität ausübt, um Genuss, Reichtum und soziale Vorteile zu erlangen, ohne sich der Moral der Mittelklasse zu beugen. Es gibt die tausendfach kopierten Mae-West-Gesten und -Bewegungen: dieser füllige, sich in die Blicke schiebende Zeitlupengang, der permanent behauptet: „Hier bin ich, ich bin ein sexuelles Wesen.“ Sich verdrehende Augen, denen das Exstase-Versprechen zum Klischee geronnen ist. Ein „Hm“, das die Zweideutigkeiten der Dialoge verstärkt.

Ohne den Tonfilm gäbe es keine Mae-West-Filme. Ihre erfolgreichsten Filme und ihre wichtigsten Theatererfolge spielen in den Neunzigerjahren, den gay nineties, des vorletzten Jahrhunderts. Sie benutzte dieses Setting des Staubigen, der Sofakissenatmosphäre bewusst, um die damaligen ideologischen Widersprüche zu den Frauenrollen der Dreißigerjahre vorzuführen. Parodistische Wiederaneignungen der damaligen Unterhaltungsformen wie Burleske und Vaudeville stellten ironische Distanz her zu zeitgenössischen Geschlechterstereotypen. Sie hat von den Frauendarstellern der Jahrhundertwende gelernt, Anachronismen und Altmodisches, auch in der Musik, referieren auf etwas Unauthentisches, in dem eher Fragen des Stils, des Geschmacks verfangen als solche des Realismus. Wobei man Ihre Bezüge auf Klassenverhältnisse nicht unterschätzen sollte: Über die Reichen, das Bürgertum macht sie sich lustig.

1971 definierte Mae West Camp folgendermaßen: „Camp ist eine Art von Komödie, in der sie mich imitieren.“ Und dass das im Swinging-Hetero-Magazin Playboy geschrieben stand, lag natürlich an dem einflussreichen Aufsatz von Susan Sontag von 1964, „Notes on Camp“.

In den 70er-Jahren handelten feministische Filmkritikerinnen wie Joan Mellen, Claire Johnston und Molly Haskell an ihr die Frage der phallischen Frau als Fetisch des patriarchalen Kinos ab. In den 80er-Jahren bemerkte die englische Star-Kolumnistin Julie Burchill in ihrem Buch „Girls on Film“, dass Mae West die einzige Schauspielerin war, die sich immer ihres homosexuellen Publikums bewusst war – inzwischen wägt sie Mae Wests genüssliche Schlechtigkeit – „When I'm good, I'm really good, but when I'm bad I'm better“ – ab gegen die zeitgenössischen Hollywood-Bad-Girls Christina Ricci und Angelina Jolie, die die Schlechtigkeit entweder gar nicht oder nur mit einer gehörigen Portion Masochismus durchhalten. Erst 1996 erschien das Buch „Guilty Pleasures – Feminist Camp from Mae West to Madonna“ von Pamela Robertson. Die Autorin wehrt sich gegen Camp „als exklusive Provinz schwuler Männer“, in der Frauen als „Objekte für die (Ein)Übung der Camp-Sensibilität fungieren, aber nie als Produzentinnen oder Konsumentinnen“.

Aber es geht bei Mae West natürlich auch um Kontrolle. Und um die Gratwanderung: Die Ambivalenz ihrer Darstellungen, das Poröse des Genusses, wie sich Passivität und Aktivität, Affirmation und Kritik überlagern.