Ein knapper Punktsieg für Kerry

Das zweite TV-Duell zwischen Bush und Kerry offenbart den Zuschauern keine neuen Standpunkte. Die Unterschiede im Auftreten der beiden US-Präsidentschaftskandidaten dürften daher ausschlaggebend für die Spontanwähler sein

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Betrachtet man die amerikanische Präsidentschaftswahl als sportlichen Wettkampf, kann sich der Zuschauer derzeit über mangelnde Spannung nicht beklagen. Auch das zweite Fernsehduell zwischen Bush und Kerry, das Freitagnacht stattfand und als Unentschieden oder knapper Punktsieg für Kerry gewertet wurde, dürfte die Wahlkoordinaten nicht verschoben haben. In einigen entscheidenden Wechselwähler-Staaten führt Bush, in anderen Kerry. Wo der Senator aus Massachusetts bereits abgeschlagen galt, konnte er wieder aufholen. Die meisten Wähler haben ihre Entscheidung bereits getroffen. Die noch Unentschlossenen werden nach Ansicht von Kommentatoren mit ihrer Stimmentscheidung bis zur letzten Minute warten.

Die jüngste TV-Debatte förderte für den wankelmütigen Wähler keine bahnbrechenden Neuigkeiten zutage, machte aber erneut die politischen Differenzen der Kontrahenten deutlich. Liegen die Unterschiede bei wichtigen Themen wie Krankenversicherung, Abtreibung, Steuern und Umweltschutz klarer auf der Hand, bietet sich in der für viele Amerikaner möglicherweise ausschlaggebenden Irakfrage ein zum Teil verwirrendes Bild.

Bush verteidigte aggressiv die Kriegsentscheidung, obwohl sein gesamtes Rechtfertigungsgerüst vergangene Woche endgültig einstürzte. Er interpretierte den Abschlussbericht des US-Waffenoberinspekteurs Charles Duelfer jedoch in seinem Sinne und zog einen neuen Kriegsgrund aus dem Hut: Saddam Hussein habe die UN-Sanktionen untergraben wollen, um seine Waffenprogramme wiederaufzulegen. Amerika musste handeln.

Kerry, der sich mittlerweile zum Antikriegskandidaten gewandelt hat, geißelte die Invasion in nunmehr gewohnter Schärfe als „katastrophalen Fehler“ und warf Bush vor, das Volk zu betrügen. Geht es jedoch um Pläne, wie der Irak befriedet werden könnte, ist er wenig überzeugend. Genauso wie Bush will er die Wahlen absichern, mehr und schneller irakische Soldaten trainieren, den Wiederaufbau beschleunigen und bald mit dem Abzug der US-Streitkräfte beginnen. „Sein Irakplan kommt mir bekannt vor, es ist der Bush-Plan“, stellte der Präsident spöttisch fest.

Im Kern sagt Kerry: Ich mache es so wie Bush, aber effektiver. Er glaubt, nur durch einen Regimewechsel im Weißen Haus ließen sich die angeschlagenen Beziehungen zu befreundeten Staaten reparieren und sich diese so zu Mithilfe im Irak bewegen – eine Illusion, wie viele Experten meinen. Kerry beantwortete auch nicht die Frage, wie Erfolg im Irak definiert wird und welche Ziele die USA dort verfolgen. Es scheint ihm jedoch seit der ersten TV-Debatte gelungen, die Kriege gegen den Irak und den Terrorismus wieder stärker auseinander zu dividieren, nachdem Bush monatelang alle Kräfte darauf verwandte, beide als Seiten einer Medaille zu verkaufen.

Mehr noch als das erste Duell machte das zweite deutlich, wie sich Bush und Kerry im Auftreten unterscheiden. Der Präsident wirkte stellenweise wie ein Prediger, der Senator agierte wie ein Anwalt. Bush war leidenschaftlicher, sprach zuweilen erregt und stark gestikulierend. Zeitweise brachte ihn Kerry, der selbst stets ruhig und souverän blieb, mit seinen rhetorischen Angriffen fast zum Schreien.

Kerry ist ungleich eloquenter. Er präsentierte mehr Fakten und Beispiele. Oft sprach er Bush konkret an. Auch wandte er sich mehr an das Publikum im Saal und an den Bildschirmen. Für einen, der noch vor wenigen Wochen als steif, hölzern und unnahbar galt, hat er sich als enorm lernfähig erwiesen. Dies raubt Bush ein wenig den Bonus, der umgänglichere Typ von nebenan zu sein. Kerry war zudem in der Lage, Fehler einzugestehen.

Bush hingegen war unfähig, auf eine Frage aus dem Publikum nach eigenen Fehlern auch nur einen zu nennen. Uneins sind sich Meinungsmacher, wie Bushs sturer, oft als arrogant empfundener, aber auch passionierter und leutseliger Charakter bei noch wankelmütigen Wählern ankommt. Unklar bleibt, was sie denken, wenn Bush, konfrontiert mit der Frage, warum die USA im Ausland so unbeliebt seien, antwortet: „Wir sind ein großartiges Land. Ich liebe unsere Werte.“