Die Geisterhäftlinge

Human Rights Watch wirft der CIA vor, sie habe Al-Qaida-Gefangene verschwinden lassen

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat dem US-Geheimdienst CIA vorgeworfen, hochrangige Mitgliedes Terrornetzwerks al-Qaida zu foltern und verschwinden zu lassen. Laut einem am Montag vorgestellten Bericht werden alle Terroristen an unbekannten Orten festgehalten, ohne dass ihre Familien informiert worden seien oder das Rote Kreuz Zugang zu ihnen hätte. In einigen Fällen hätten die USA bis heute nicht einmal zugegeben, dass sich die Betroffenen in ihrer Gefangenschaft befänden. Bei Verhören würde die aus Lateinamerika bekannte Methode „submarino“ angewendet. Dabei würden Gefangene mit dem Kopf unter Wasser getaucht und ihnen gedroht, ertränkt zu werden.

Die Haftmethoden verletzten eindeutig internationale Verträge, die auch von den USA unterzeichnet worden sind, darunter die Genfer Gefangenenkonvention und die UN-Menschenrechtskonvention. „Dass der Terror, den Amerika bekämpft, einen neuen Charakter hat, ändert nichts daran, dass die angewandten CIA-Methoden illegal sind“, so der HRW-Report.

Die Menschenrechtsorganisation nennt die Namen von insgesamt elf Al-Qaida-Verdächtigen, darunter Chalid Scheich Mohammed, den mutmaßlichen Drahtzieher des 11. September 2001, Abu Zubayda, der ein enger Vertrauter von Ussama Bin Laden sein soll, und Ramsi Binalshibh, ebenfalls maßgeblich beteiligt an der Vorbereitung der Attentate auf das World Trade Center und das Pentagon.

Binalshibh gehörte zur Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta. Dreimal versuchte er in die USA einzureisen. Die Einwanderungsbehörden verweigerten ihm jedoch stets das Visum. Deutsche Ermittler stellten unmittelbar nach dem 11. September gegen ihn einen internationalen Haftbefehl aus. Im Herbst 2002 wurde er in Karachi von der pakistanischen Polizei verhaftet und anschließend offenbar an die USA ausgeliefert. Seither ist er verschwunden.

Der Bericht beruft sich auf zugängliche Medieninformationen, in denen ungenannte Regierungsmitarbeiter diese völkerrechtswidrigen Praktiken zugegeben haben. Die CIA hat sich bislang nicht zu den brisanten Anschuldigungen geäußert.

Ausdrücklich gesteht HRW den USA das Recht zu, Geheimdienstinformationen zur Terrorabwehr zu sammeln. Dabei dürften jedoch nicht die „Grundprinzipien“ einer demokratischen Gesellschaft missachtet werden. Die von den USA angewandten Methoden entsprächen aber eher der Praxis, deren sich lateinamerikanische Diktaturen in ihren „schmutzigen Kriegen“ gegen Oppositionelle bedient hätten. „Auch diejenigen, die sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben, müssen in einem fairen Verfahren zur Verantwortung gezogen werden“, betonte HRW-Experte Reed Brody bei der Vorstellung des Berichts. Er warnte die USA davor, sich von ihren „Idealen und internationalen Verpflichtungen abzuwenden“, sollten sie weiter die Strategie von „Folter und Verschwindenlassen ihrer Gegner“ verfolgen.

US-Behörden hatten in der Vergangenheit wiederholt ihre geheimen Praktiken verteidigt. Nur so hätten wertvolle Informationen über vergangene und geplante Terroranschläge gesammelt werden können. Doch wie der HRW-Bericht zeigt, haben Gefangene aufgrund angedrohter Folter oder unter Anwendung von „Stress“-Methoden Aussagen erfunden, um die Geheimdienstler zufrieden zu stellen. So habe der „Geistergefangene“ Ibn al-Scheich al-Libi ausgesagt, dass der Irak Al-Qaida-Terroristen beim Training mit Giftgasen geholfen habe – eine falsche Behauptung, die US-Außenminister Colin Powell bei seiner Präsentation vor dem UN-Sicherheitsrat im Februar 2003 benutzte, um den Irakkrieg zu rechtfertigen.

Ermöglicht wurden der CIA die völkerrechtswidrigen Gefangenen- und Verhörmethoden, die zudem US-Militärrecht widersprechen, durch eine Anweisung des US-Justizministeriums vom August 2002. Diese bezog sich auf eine Anfrage der CIA zu Handlungsspielräumen im Antiterrorkampf, wie eine unabhängige Untersuchungskommission im Auftrag des Pentagon herausfand. Das Justizministerium war der Auffassung, dass Folter von mutmaßlichen Al-Qaida-Terroristen aus Gründen der nationalen Sicherheit gerechtfertigt sein könnte.