VATER DER REPUBLIK

Es gibt in der Türkei kein öffentliches Gebäude, das nicht mit einer Atatürk-Büste oder zumindest einem Porträt des Gründers der türkischen Republik geschmückt wäre. Noch 65 Jahre nach seinem Tod am 10. November 1938 ist der so genannte „Vater der Türkei“ allgegenwärtig. Jeder Politiker beruft sich auf ihn, und selbst die islamisch orientierte derzeitige Regierungspartei AKP sieht sich in seiner Nachfolge.

Tatsächlich wurden alle wichtigen, die Republik bis heute prägenden Entscheidungen auf Initiative Atatürks ergriffen. Während seiner Zeit als erster Präsident der Republik (1923–1938) setzte er die Westorientierung der Türkei durch. Radikal ließ Atatürk die Brücken zur Vergangenheit abbrechen. Angefangen von der Kleidung, über die Schrift bis hin zur Musik und der Verbannung der Religion aus der Politik wurde das Land nach Westeuropa ausgerichtet. Persönlich zog der Präsident über die Dörfer und propagierte den Hut anstatt des Fes, setzte durch, dass die Frauen den Schleier ablegten, und führte den Menschen europäische Tänze vor.

Widerstand duldete Atatürk auf diesem Weg nicht. Der Held des Unabhängigkeitskrieges ließ widerspenstige Mullahs hängen und scheute sich nicht, gegen religiös motivierte kurdische Aufständische alle verfügbaren militärischen Mittel einzusetzen. Der Weg nach Westen wurde im Geiste einer Erziehungsdiktatur beschritten. An diesem Widerspruch, westliche Freiheit durch Repression einführen zu wollen, krankt die Türkei bis heute. JG